Wenn Pädagogen zu Stars werden

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In den Sommerferien ist FFZ-Zeit. Dann verbringen die 5-Tage-Gruppe »Wittlaer« und »Take5« jeweils eine Woche in der Eifel. Das Besondere: Bei den Familienfreizeiten sind nicht nur Kinder und pädagogische Fachkräfte dabei, Eltern und Geschwister sind ebenfalls mit im Boot, das zuweilen ein Kanu ist. Gemeinsame Aktivitäten sollen Vertrauen und Zuversicht unter allen Beteiligten schaffen – dabei fallen alle ganz bewusst aus ihrer angestammten Rolle. 

Den Sommer 2022 wird Leon so schnell nicht vergessen. Besonders das Bühnenprogramm ist dem Zehnjährigen lebhaft in Erinnerung geblieben: Sämtliche Mitarbeitende der 5-Tage-Gruppe »Take5« hatten sich dafür in Schale geworfen, hatten sich in schrille Klamotten geschmissen und Perücken aufgesetzt. »Das war cool«, meint Leon. »Sie waren in dem Moment keine Pädagogen mehr, sondern richtige Stars«, ergänzt seine Mutter Sarah Wins und lacht. Am Ende lief dann auch ihr Sohn über den Laufsteg; fiel, wie die anderen, ein wenig aus seiner angestammten Rolle. Und genau so war es auch gedacht.

Das bunte Programm bildete den Auftakt einer ganz besonderen Woche, welche von der seit 1995 bestehenden 5-Tage-Gruppe Wittlaer ins Leben gerufen worden war und seit Jahren auch durch das Team von Take5 (ehemals 5-Tage-Gruppe Ratingen) umgesetzt wird: die jährliche Familienfreizeit (FFZ). Diese steht nicht nur unter einem wechselnden Motto, auch die Zusammensetzung ist außergewöhnlich. Denn nicht nur die Kinder, die wochentags in den beiden Gruppen auf dem Campus der Graf Recke Stiftung in Düsseldorf-Wittlaer leben, verbringen während der Sommerferien eine gemeinsame Woche in der Eifel, ihre Eltern und Geschwister sind ebenfalls mit im Boot – zuweilen durchaus im Wortsinne.

Grundlagen für ein ganzes Jahr

Am Anfang sei man, wie sonst üblich, ebenfalls nur mit den Kindern in die Ferien gefahren, sagt Silvia Grotzki, langjährige Teamleiterin in der 5-Tage-Gruppe Wittlaer. Man habe jedoch festgestellt, dass einige Eltern damit schwer umgehen konnten. »Die sind uns teilweise hinterhergefahren«, erinnert sie sich. Und so sei man auf die Idee gekommen, gemeinsam Zeit mit den Familien zu verbringen. Das hatte auch pädagogische Gründe: In dieser Wohnform werde konsequent auf die Rückführung der Kinder in die Familie hingearbeitet, verdeutlicht sie. Und die gemeinsame Zeit sei dafür ungemein wertvoll.

Das sieht Oliver Nitschmann genauso: »Die Beziehungs- und Familienarbeit in dieser Woche ist die Grundlage für das kommende Jahr. Wir schaffen Vertrauen und Zuversicht der Familien in das Team und unsere Arbeit«, glaubt der Teamleiter von Take5. Denn nicht immer sei der Austausch unproblematisch, man wolle daher Veränderungen in die Familien bringen, alte Muster aufbrechen »und neue Wege einschlagen«, wie er sagt. Aber: »Wenn man jemanden etwas Kritisches sagen möchte, ist es besser, wenn man gemocht wird.«

Für dieses Ziel ist den beiden 5-Tage-Gruppen daher kein Aufwand zu groß. Dieser liege »jenseits der Normalität«, bekennt Oliver Nitschmann. »Beim letzten Mal waren wir insgesamt 37 Personen, das ist schon eine Ansage. Aber alle im Team ziehen mit«, freut er sich. Für die Vorbereitung der Familienfreizeit im Sommer 2022 beispielsweise fuhren vier Leute aus dem achtköpfigen Take-5-Team bereits zwei Tage früher ins Erlebnis- und Freizeithaus »Acht« an der Schulstraße 8 in der Eifelgemeinde Acht. Es gab ja so viel zu tun.

Ein bisschen zum Affen machen

Allein für den »Catwalk 8« hatte das Team aus Paletten extra einen Laufsteg mit Hintergrund gebaut, Schaufensterpuppen dekoriert und, wenig überraschend, eine beleuchtete Acht gebastelt. »Eine Acht ist dabei irgendwie immer im Spiel«, meint Oliver Nitschmann lachend. Die Familien erlebten bei ihrer Ankunft auf der Bühne dann Supermodels und Paparazzi, und den Teamleiter als schrillen Modedesigner mit Zopf, was Leon nachhaltig beeindruckt hat. »Jeder hat dann seine Rolle, in der bleiben wir auch«, erklärt Oliver Nitschmann. Er war in früheren Jahren auch schon Piratenkapitän oder Sultan. 

In der 5-Tage-Gruppe Wittlaer läuft das ganz ähnlich, dort wurden die Familien bereits in den Wilden Westen entführt, auf den Jahrmarkt, zu Harry Potter oder zur Wahl des Supertalents. »Zum Star über Nacht in Dorf Acht« lautete damals das treffliche Motto. Man nehme aktuelle Geschehnisse und passe diese an die eigenen Bedürfnisse an, habe mittlerweile »ein ganzes Archiv mit Kostümen«, verrät Silvia Grotzki. »Die Eltern erleben uns nicht in unserer Pädagogen-Rolle, wir machen uns auch ein bisschen zum Affen.« 

Doch das alles sei »Mittel zum Zweck«, die Kinder mit ihren Familien werden in die Themen einbezogen, erklärt ihr Kollege Nitschmann. Man arbeite daraufhin, dass bis zum Ende der Woche jeder etwas erarbeite, das ihn ausmache oder darstelle, sagt er. Das kann im einen Jahr ein Bild sein, im nächsten ein Gedicht, oder eben, wie zuletzt, ein Gang über den Laufsteg. »Das hat mir gut gefallen. Ich hab' einen Hut von den Stars bekommen«, erzählt Leon, der mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester auftrat. Es war jedoch nicht die einzige Herausforderung, die auf ihn zukam.

Teamfähigkeit beweisen beim Kochen

Denn bei jeder FFZ warten neben Ausflügen diverse Aktionen auf die Teilnehmenden. Leons Mutter berichtet von der ersten Kanufahrt ihres Lebens, »das war sehr nass«, fasst sie das Erlebnis in aller Kürze zusammen. Bereut hat sie den Gang ins Boot dennoch nicht. »Es war eine anstrengende, aber gute Erfahrung«, sagt Sarah Wins. Das ging ihr bei der Wanderung nicht anders. Da seien die Kinder vor den Erwachsenen auf dem Berg angekommen, erzählt Leon. »Das stimmt«, pflichtet ihm seine Mutter anerkennend bei. Man wage sich plötzlich an Dinge, die man vorher noch nie gemacht habe, meint sie. »Ob Kanufahren oder eine richtig lange Wanderung, da ist man schon stolz, das gemeinsam geschafft zu haben.«

Das gilt zweifellos auch fürs Kochen, das während der Familienfreizeit, lediglich vom pädagogischen Team begleitet, täglich zwei Familien für die gesamte Reisegruppe übernehmen, in der Regel immerhin 30 bis 40 Personen. Auch hierbei sind wieder alle gefordert. Für die Lasagne mit Auberginen etwa, für die sich Leons Familie entschieden hatte, steuerte der Zehnjährige ebenso seinen Teil bei: »Ich habe den Käse gerieben«, erzählt er. Bei regelmäßigen Action-Spielen müssen die Familien ohnehin ihre Teamfähigkeit beweisen, sich gegenseitig unterstützen, anfeuern oder auch mal trösten. Für die pädagogischen Fachkräfte ist der Blick auf das familiäre Zusammenspiel allemal ein Gewinn.

»Spätestens nach dieser Woche kann sich keine Familie mehr verstecken«, erläutert Silvia Grotzki. »Da kann man erkennen, wo schon geübt wurde und wo noch ein paar Stellschrauben nachgedreht werden müssen.« Denn natürlich laufe in einer solchen Zeit nicht alles rund, sagt die Teamleiterin der 5-Tage-Gruppe Wittlaer. Sinnvoll aber sei sie zweifellos, für beide Seiten. »Die Familien erkennen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind«, betont sie. »Gerade dann, wenn die Eltern abends zusammensitzen und sich austauschen. Ganz unter sich.«

»Die Familien erkennen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind«

Silvia Grotzki.

»Spätestens nach dieser Woche kann sich keine Familie mehr verstecken«, erläutert Silvia Grotzki. »Da kann man erkennen, wo schon geübt wurde und wo noch ein paar Stellschrauben nachgedreht werden müssen.« Denn natürlich laufe in einer solchen Zeit nicht alles rund, sagt die Teamleiterin der 5-Tage-Gruppe Wittlaer. Sinnvoll aber sei sie zweifellos, für beide Seiten. »Die Familien erkennen, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine sind«, betont sie. »Gerade dann, wenn die Eltern abends zusammensitzen und sich austauschen. Ganz unter sich.«

Neuer Blick auf die eigene Familie

Für die Heilpädagogin ist die FFZ daher längst »ein Modul, auf das wir nicht verzichten wollen«. Das liegt auch ein wenig an den kreativen Grußkarten, die man traditionell aus der Eifel verschickt. Vor allem aber helfe es beim angestrebten Ziel, die Kinder in ihre Familien zurückzuführen, sagt sie. »Das ist unser Anspruch.« Oliver Nitschmann erkennt in den 5-Tage-Gruppen denn auch »ein Erfolgsmodell«. Die Anbindung an die Eltern sei kaum irgendwo so intensiv, das beginne bereits mit der Aufnahme. »Das Anspruchsvolle ist: Wir haben nicht nur ein Kind. Es sind Mama, Papa und Geschwister, ein echtes Überraschungspaket«, macht er deutlich.

Das gilt umso mehr für die Familienfreizeit. Es sei in der Tat eine intensive Woche, die flexible Teamarbeit erfordere, sagt Silvia Grotzki. Selbst in der Coronazeit ließ man sich, unter den jeweils geltenden Auflagen, nicht aufhalten. Es sei jedoch positiver Stress, »Spaß und Humor spielen dabei eine große Rolle. Es ist anders als bei der wöchentlichen Teamsitzung«, meint sie mit einem Schmunzeln.

Kräftezehrend sei es für die Pädagogen dennoch, räumt Oliver Nitschmann ein. Vom Jogging-Angebot am Morgen über das Wandern für Eltern bis hin zum Sport- und Spielangebot für alle – »das ist echt volles Programm«. Über die gesamte Zeit ist zudem die familienberatende Fachkraft, eine weitere Besonderheit der Gruppen, mit dabei. Täglich formuliere und arbeite man an Zielen, führe Familiengespräche, gehe an Grenzen oder mal darüber hinaus, sagt Nitschmann. Da sei es gut, dass danach die Schließungszeit in den Gruppen folge.

Das ist laut der beiden Teamleiter nicht nur für den möglicherweise benötigten Abstand und die – zweifellos notwendige – Erholung ein Vorteil. So könne das gemeinsam Erarbeitete zu Hause zudem direkt umgesetzt werden. Und so freut sich nicht nur Leon schon sehr auf die nächste Familienfreizeit, Mutter Sarah geht das genauso. »Man lernt die anderen auf so einer Freizeit auf eine ganz andere Art kennen«, so ihre Erfahrung. »Und die eigene Familie auch.«

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