Von der Schule bis zum Ruhestand: Herausforderungen meistern
Seit Mitte der 80-Jahre engagiert sich Hans-Jürgen Fischer beruflich für Kinder, Jugendliche und Familien, 30 Jahre davon in verschiedenen Funktionen in der Graf Recke Stiftung, zuletzt als Fachaufsicht. Veränderungen haben ihn dabei nie geschreckt, er sah diese immer als Chance, sich weiterzuentwickeln. Wenn man denn seine Grenzen erkennt. Nun steht der Düsseldorfer vor seiner nächsten Herausforderung: dem Ruhestand. Doch auch für diesen hat der 65-Jährige schon einen Plan – und 3000 Kilometer vor sich.
Hans-Jürgen Fischer liebt die Herausforderung. Das war bereits in seiner Schulzeit so, während seines Studiums und später im Berufsleben. Das habe ihn immer gereizt, meint er. „Daran bin ich gewachsen, beruflich und menschlich.“ Nach mehr als 30 Jahren im Dienst der Graf Recke Stiftung, seit gut zehn Jahren als Fachaufsicht bei der Graf Recke Erziehung & Bildung, wartet bald eine weitere, einschneidende Veränderung auf ihn: Der 65-Jährige steht kurz vor dem Ruhestand. Doch auch vor diesem Lebensabschnitt ist dem gebürtigen Düsseldorfer nicht bang. Er hat sich, wenig überraschend, einiges vorgenommen.
Bis Ende November widmet sich Hans-Jürgen Fischer noch voll und ganz seinen vielfältigen Aufgaben als Fachaufsicht im Fachbereich I Sozialraum. Der Name ist dabei Programm: Die Wohngruppen in seinem Zuständigkeitsbereich liegen in der Regel nicht auf einem Campus, sondern mitten in gewachsenen Wohngebieten, von Düsseldorf bis Hilden, von Langenfeld bis Leichlingen. „Es ist ein Stück Normalität für die Kinder und Jugendlichen, mit allen Vor- und Nachteilen“, sagt er. Vereinzelte Beschwerden durch Nachbarn benennt er eine der Schattenseiten, „doch das gehört dazu“, meint er. Ein anderer Aspekt hingegen sei unbestritten positiv: „Es gibt nicht eine solche Anballung von Problemen.“
Das war früher anders, in Zeiten der großen Kinderheime. Als er vor gut 30 Jahren seine erste Stelle in der Stiftung angetreten habe, sei der Systemwechsel hin zu kleinen Wohngruppen in vollem Gange gewesen, erinnert sich Hans-Jürgen Fischer. Auch er hatte in einer solchen, einer Intensivwohngruppe, begonnen. Für ihn selbst ebenfalls eine intensive Erfahrung: „Das war eine schöne, allerdings auch eine harte Zeit“, erinnert er sich. Insbesondere, da er damals noch parallel in seiner Zusatzausbildung zum systemischen Familientherapeuten steckte. „Aber ich habe mich durchgekämpft.“
Durchgekämpft bis zum Studium
Sich durchkämpfen zu müssen, das kannte er bereits. In Düsseldorf-Unterbilk, im Schatten der Bilker Kirche, aufgewachsen, besuchte er als Kind nur ein Jahr die Volksschule, wechselte dann auf die Förderschule. „Ich war Legastheniker“, erklärt Hans-Jürgen Fischer. Doch der Schritt zurück habe ihm gutgetan: „Ich musste mich damit auseinandersetzen, habe hart an mir gearbeitet.“ Wie sehr, das zeigt sein weiterer Weg, der ihn zurück in die Volksschule, über die Haupt- und Realschule schließlich aufs Gymnasium führte. Mathematik und Pädagogik waren seine Leistungskurse, „zwischendurch wollte ich mal Mathelehrer werden“, erzählt er mit einem Schmunzeln. Es sollte anders kommen.
Er sei in der katholischen Jugendarbeit groß geworden, „ich hatte dort Vorbilder, und auch selbst eine Gruppe geleitet“, erklärt Hans-Jürgen Fischer seinen Sinneswandel, hin zum Sozialen. Und so leistete er seinen Zivildienst bei den Maltesern und studierte im Anschluss Sozialpädagogik an der damaligen Fachhochschule Düsseldorf. Dort kam er durch ein Seminar in Kontakt mit der Bürgerinitiative „AGB Ausländergruppe Bilk e.V.“ für die er sich fortan ehrenamtlich engagierte.
„Ich wollte nicht als Berufsjugendlicher mit 50 noch am Kicker stehen.“
Nach seinem Diplom Mitte der 80er arbeitete Fischer dort hauptamtlich, Sozialberatung gehörte ebenso zu seinem Tätigkeitsfeld wie Kinder-, Jugend- und Familienarbeit. Er habe damals unter anderem den Kinderclub „Kibi“ aufgebaut, „den gibt es heute noch“. Und doch war es für ihn nach einigen Jahren an der Zeit, mal wieder eine neue Herausforderung zu suchen. „Ich wollte nicht als Berufsjugendlicher mit 50 noch am Kicker stehen.“ Er lacht.
Familientherapeut in Tagesgruppen
Den Wechsel zur Graf Recke Stiftung hat er jedenfalls nie bereut. Nach seinen Anfängen in der Intensivwohngruppe übernahm er die Aufgabe eines Familientherapeuten für zwei Tagesgruppen in Ratingen. Eine unterschätze Form der Jugendhilfe, wie er findet, die bundesweit „so am Rande mitläuft“. Und klar, dass die Kinder die Abende, die Wochenenden und den Großteil der Ferien in ihrer Herkunftsfamilie verbringen, quasi in zwei Lebenswelten klarkommen müssten, sei nicht immer ganz leicht. „Der Vorteil aber ist, dass die Bindung zu den Eltern bestehen bleibt und ausgebaut werden kann. Das bietet große Chancen“, sagt er. „Das ist ein System, von dem ich überzeugt bin.“
Dort mitarbeiten zu können, war für ihn persönlich „ein Glücksfall“, wie er es nennt. „Ich arbeitete mit den Teams und den Familien auf Augenhöhe.“ Man habe in jener Zeit zum Beispiel Wochenendfreizeiten für die ganzen Familien eingeführt oder mit den Eltern Weihnachten gefeiert, „als Dankeschön für die gute Zusammenarbeit“. Er selbst gründete zudem eine Männer-Walkinggruppe, die den Zusammenhalt unter den Vätern noch verstärkte. Insgesamt 17 Jahre arbeitete er als Familientherapeut – bis Hans-Jürgen Fischer in leitende Funktionen wechselte; zunächst als stellvertretender Bereichsleiter im Geschäftsbereich, nach einer Strukturveränderung vor gut zehn Jahren fungiert er nun als Fachaufsicht.
Bis heute ist er in dieser Funktion unter anderem für fünf Tagesgruppen zuständig, was ihn sehr freut. Für die Teams dort habe er, ebenso wie für die Regel- und Intensivgruppen, vor allem eine beratende Funktion, von möglichen Förderungen bis zu rechtlichen Grundlagen, erklärt er. Hinzu kommen Leitungsdienste, in denen er rund um die Uhr ansprechbar sein müsse, sowie der eigentliche Aufsichtsaspekt, „dass Vorgaben der Hilfepläne in den Wohngruppen auch eingehalten werden“. Man unterstütze zudem die Fachbereichsleitung, der man zuarbeite, und übernehme Querschnittsarbeiten.
Medienteilhabe ist „ein Rechtsgut“
Was theoretisch klingen mag, ist für den 65-Jährigen mit einer konkreten Aufgabe verbunden – die zugleich einer der größten Veränderungen in der Jugendhilfe der vergangenen Jahrzehnte berührt. Gemeinsam mit seiner Kollegin Maren Steffler verantwortet er den Arbeitskreis Medienpädagogik. „Das ist ein heißes Thema“, so seine Erfahrung. „Man muss verstehen, dass wir hier einen Bildungsauftrag haben. Aber mit Verboten kommen wir nicht weit. Wenn wir einem Jugendlichen sein Handy abnehmen, besorgt er sich ein anderes.“
Das habe seinen Grund: Insbesondere Smartphones seien die Kommunikationsmittel von heute, sagt der Sozialpädagoge. „Wir müssen das begleiten.“ Das bedeute vor allem, die jungen Leute fit zu machen im Umgang mit Medien. Dazu brauche es ein Vertrauensverhältnis, nur dann könne man glaubhaft sensibilisieren für die Gefahren. „Wir können Kinder ja auch nicht in der Wohnung lassen, nur weil wir Angst haben, sie könnten überfahren werden.“ Nein, sagt Fischer, es gehe hier nicht nur um einen gesellschaftlichen Wandel. Medienteilhabe sei „ein Rechtsgut, wie die Meinungsfreiheit“.
Sich hierfür ab Dezember nicht mehr beruflich zu engagieren, das wird Hans-Jürgen Fischer vermissen, das räumt er ein. „Sich nicht mehr in andere hineinzudenken und sie zu unterstützen, das wird mir fehlen.“ Zudem die Zusammenarbeit „mit tollen Kollegen, wir haben auch viel gelacht“. Diesen ist er bis heute dankbar für die Unterstützung, als ihm 2019 plötzlich nicht mehr zum Lachen zumute war: Damals war er an seine persönliche Grenze geraten – und hatte sie letztlich überschritten. „Ich war ein halbes Jahr raus, ich hatte einen Burnout“, berichtet er.
Die eigenen Grenzen respektieren
In der Jugendhilfe sei die Gefahr der Überforderung zweifellos gegeben, weil es doch auch sehr belastend sein könne, „das gilt vor allem für den Gruppendienst“, sagt er. Bei ihm persönlich jedoch kam zu der Zeit eine pflegerische Aufgabe in der Familie hinzu. Es war diese eine Herausforderung zu viel. Doch zum Glück habe man während seiner Krankheit eine gute Vertretungslösung gefunden, die Wiedereingliederung sei von der Stiftung gut begleitet worden, sagt der 65-Jährige. „Man kann wieder zurückkommen, das ist wichtig.“
Hans-Jürgen Fischer hat in dieser schwierigen Phase eine wichtige Erkenntnis für sich gewonnen, die er gerne an andere weitergibt, „die ja wirklich in aller Regel mit dem Herzen dabei sind“, wie er betont. Ein gutes Team könne viel auffangen, man müsse dennoch seine eigenen Grenzen respektieren, sich zudem einen Ausgleich schaffen. „Wichtig ist, etwas für sich zu finden, wo man zur Ruhe kommt.“ Für ihn war das immer die Malerei, die er damals aber vernachlässigt habe – und der Sport, insbesondere das Radfahren.
„Wichtig ist, etwas für sich zu finden, wo man zur Ruhe kommt.“
Dafür wird der Vater einer erwachsenen Tochter künftig mehr Zeit finden. Darüber hinaus zum Lesen und Kochen, darauf freue er sich sehr. „Und darauf, mit meiner Frau und einem guten Glas Wein auf der Terrasse zu sitzen und dem Gras beim Wachsen zuzugucken“, meint er und lacht. So ganz aus seiner Haut heraus kann er dann aber doch nicht, für das nächste Jahr existiert bereits ein kühner Plan: Mit dem Fahrrad will Hans-Jürgen Fischer an der Donau entlang fahren, und zwar von der Quelle im Schwarzwald bis zum Schwarzen Meer, das sind knapp 3000 Kilometer. Rund zwei Monate will er sich als Neurentner dafür Zeit geben. Es ist mal wieder eine Herausforderung, aber eine ausschließlich positive.