Unter Nachbarn
Die einen gehören zu den ersten Bewohnern im neuen Graf Recke Quartier Neumünster, die anderen befinden sich noch im Wartestand. Was aber alle beim „Wohnen mit Service“ sowie „Wohnen mit Betreuung“ eint: Sie freuen sich über oder auf ein Leben in den eigenen vier Wänden, verbunden mit gelebter Nachbarschaft sowie Hilfen und Unterstützung, ganz nach Bedarf. Und gemeinsam gefeiert wird selbstverständlich auch.
An die Zeit ihres Umzugs denkt Elfriede Grewsmühl mit durchaus gemischten Gefühlen: „Das war ein großer Schritt für mich und wirklich anstrengend“, sagt sie. Monatelang habe sie entrümpelt und eingepackt, was ihr viel abverlangt habe. Vom Tag des Wohnungswechsels ganz zu schweigen. Ohne die Hilfe ihrer Familie hätte sie das alles nicht geschafft, gesteht sie. „Ich brauchte ein paar Wochen, um mich zu erholen.“ Doch es hat sich gelohnt: Jetzt ist die 72-Jährige froh, dass sie seit Mai 2022 im Graf Recke Quartier ihr neues Zuhause hat. „Das Leben in der neuen Wohnung ist einfach schön“, sagt sie. Sie habe hier ihre Privatsphäre, aber auch die Möglichkeit für soziale Kontakte. Sie strahlt.
Elfriede Grewsmühl steht exemplarisch für die Idee des „Wohnen mit Service“ sowie „Wohnen mit Betreuung“ im neuen Quartier der Graf Recke Stiftung im Stadtteil Brachenfeld-Ruthenberg: ein Leben in den eigenen vier Wänden und doch in Gemeinschaft. Hinzu kommen pflegerische oder hauswirtschaftliche Hilfen, ganz nach Bedarf. Für Elfriede Grewsmühl allerdings ist beides aktuell kein Thema: Die frühere Tennis-Turnierspielerin, mit 45 Jahren einst Deutsche Meisterin ihrer Altersklasse, steht auch heute noch regelmäßig auf dem Platz. „Für ein Heim wäre ich noch viel zu fit“, meint sie mit einem Lachen.
Das gilt auch für Dorothea und Arno Jahner, die zu den ersten Interessenten gehörten und ebenfalls im Mai ihre Wohnung im Quartier bezogen. Die beiden sind in Neumünster keine Unbekannten: Sie war jahrzehntelang als Sonderschullehrerin tätig und gehört seit 14 Jahren dem Seniorenbeirat der Stadt an. Als „seniorTrainerin" vermittelt sie zudem Ehrenamtliche in soziale Tätigkeiten. Er, studierter Sozialmanager, saß einst für die SPD im Landtag, war unter anderem Ratsmitglied, Gesundheitsdezernent und gesundheitspolitischer Sprecher bei der Stadt. Bis heute ist er Beauftragter für Menschen mit Behinderung. „Soziales und Gesundheit war immer unser Thema“, sagt Jahner. „Deshalb ist uns der Quartiersgedanke so wichtig.“
Wenig überraschend, dass die beiden Mittsiebziger am 20. Mai erstmals die Initiative ergriffen haben. Es war der internationale „Tag der Nachbarschaft“ und Dorothea Jahner hatte Pastetchen gebacken. „Wir haben uns damit vor die Tür gestellt und es sind bereits viele Kontakte entstanden“, sagt ihr Mann. Doch das soll es nicht gewesen sein. Man denke an Abende, an denen man künftig gemeinsam spielt oder feiert, sagt er. Den künftigen Nachbarn mit Behinderung wolle man ebenfalls Teilhabe ermöglichen. „Gemeinsam wollen wir das Leben lebenswert machen“, so formuliert es Dorothea Jahner.
Eigentlich sollten auch Brigitte und Harald Kruse bereits zur direkten Nachbarschaft gehören. Zwölf Jahre lang wohnte das Ehepaar in einer Mietwohnung ganz in der Nähe. Der angestrebte Umzug ins Graf Recke Quartier hat Gründe: Harald Kruse ist seit einiger Zeit an Parkinson erkrankt. „Bislang habe ich die Treppen noch geschafft, aber das kann sich ändern“, meint er. „Mit Sicherheit“, ergänzt seine Frau. Was tun also? Bei einem Spaziergang hätten sie im Sommer 2021 das Baustellenschild am Quartier entdeckt, sich informiert und die Musterwohnung angeschaut, erzählt Brigitte Kruse. Sie waren beide sofort angetan und haben sich für eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit barrierefreiem Bad und Balkon beworben. Mitte November kam dann tatsächlich die Zusage.
Schreck nach Kündigung
Ebenfalls im Mai sollte der Umzug stattfinden, eigentlich. Doch bauliche Verzögerungen, bedingt durch Corona und Krieg, haben das bislang verhindert. Nun wird es wohl August. Ein ziemlicher Schreck für die beiden, hatten sie ihre vorige Wohnung doch bereits gekündigt. „Dann saßen wir erst mal da“, erinnert sich Brigitte Kruse. Doch glücklicherweise habe Jürgen Büstrin, Geschäftsführer im nahen Pflege- und Therapiezentrum Haus Reckeblick und ebenfalls zuständig für das neue Quartier, ihnen übergangsweise ein Doppelzimmer im Seniorenheim zur Verfügung stellen können.
Harald Kruse hat sich das dennoch freilich anders vorgestellt: „Einen großen Teil unserer Sachen mussten wir einlagern“, berichtet er. Mitgenommen habe man all das, von dem man annahm, dass man es in der Übergangszeit brauchen werde. Aber vieles sei jetzt doch an der falschen Stelle. Zudem könne er als Funkamateur derzeit keine Antenne aufstellen, das sei für ihn „schon auch ein Drama“. Seine Frau nickt. „Wir fühlen uns aber wirklich gut aufgefangen“, versichert sie dann. „Alle im Haus sind wirklich sehr darum bemüht, dass wir uns wohlfühlen, und wenn es nur um die richtige Bettdecke geht“. Von der Größe des Zimmers war das Ehepaar zudem positiv überrascht – und von den netten Bekanntschaften, die man bereits gemacht habe.
Hannelore Fähnle gehört zu diesen Bekanntschaften unbedingt dazu, auch sie wartet noch auf den Einzug in ihre eigene Wohnung im Quartier und lebt vorübergehend im Zimmer nebenan. „Man kann sich daran gewöhnen, verwöhnt zu werden“, lacht sie. Im Haus Reckeblick werde geputzt und gekocht. Sie genieße das im Moment, weil sie wisse, dass es für eine begrenzte Zeit ist. „Für mich ist das wie ein ganz langer Urlaub“, sagt sie. Das hat zweifellos auch damit zu tun, dass Hannelore Fähnle, anders als ihre Zimmernachbarn, nicht aus Neumünster stammt, sondern aus dem brandenburgischen Beelitz, gut 350 Kilometer entfernt.
Die Gesundheit habe den Ausschlag dafür gegeben, sich für das betreute Wohnen im Graf Recke Quartier zu entscheiden, erzählt Hannelore Fähnle. Und dass ihre älteste Tochter ganz in der Nähe wohnt. Diese hatte damals die Bautätigkeiten bemerkt und ihrer Mutter den Tipp gegeben. „Hier habe ich dann meine eigene Wohnung, so wie vorher auch; ich habe aber immer die Möglichkeit, auf Hilfe zuzugreifen“, sagt die 70-Jährige. Dafür ihr soziales Umfeld zu verlassen sei ihr sehr schwer gefallen, räumt Hannelore Fähnle ein. „Aber man wird ja nicht jünger. Und dann ist es gut, die Familie um sich zu haben.“
Auch für Dorothea und Arno Jahner hat sich einiges verändert, seit sie ins Quartier gezogen sind. „Wir hatten einst ein großes Haus und uns schon vorher auf 90 Quadratmeter verkleinert“, erzählt sie. Nun sind es noch etwa 60 Quadratmeter. Dorothea Jahner hatte sich damit erst schwer getan, „aber mein Mann war schnell begeistert“. Sicher, räumt dieser ein, „das war schon eine Überwindung, sich von liebgewordenen Dingen zu trennen.“ Aber nun, in der gemütlich eingerichteten neuen Wohnung, bereuten sie den Schritt keinesfalls.
Das Graf Recke Quartier Neumünster setzt Maßstäbe über Schleswig-Holstein hinaus. Es bietet nicht nur Seniorinnen und Senioren mit unterschiedlichem Unterstützungsbedarf ein dauerhaftes Zuhause, sondern hier finden auch Kinder Betreuung und junge Menschen mit Unterstützungsbedarf ein neues Zuhause. Durch die Einbindung von unterschiedlichen und bedarfsgerechten Angeboten für alle Generationen entsteht echte Gemeinschaft und ein Lebenskonzept der gegenseitigen Hilfe. Informationen und Fakten rund ums Graf Recke Quartier Neumünster gibt es auf einer eigenen Seite.
„Was ist wirklich wichtig im Leben?“ – diese Frage müsse man sich stellen, meint Dorothea Jahner. Das Rosenthalgeschirr sei es nicht, hat sie erkannt. „Wir als Paar sind wichtig“, sagt sie und schaut hinüber zu ihrem Mann. „Wir haben Glück gehabt im Leben und uns auch was gegönnt“, macht dieser klar. „Früher sind wir mit dem Boot über die Müritz gesegelt.“ Doch das Leben verändere sich, sagt er, der zwischenzeitlich gesundheitlich angeschlagen war. „Wenn ich mal Hilfe brauche, dann werde ich sie mir hier holen können“. Arno Jahner freut sich zudem auf die Gemeinschaft und auch auf das damit verbundene gesellschaftliche Engagement. „Das wird uns beide nicht loslassen“, ist er sich sicher.
Nachbarin Elfriede Grewsmühl hatte ihren Umzug im Mai ebenfalls für den guten Zweck genutzt: Sie hatte jeweils einen Karton für sich gepackt und einen für die AWO. „Das war mein Trick, das ging wunderbar“, sagt sie heute. Unter anderem Geschirr, Bettwäsche und Kleidung habe sie der Hilfsorganisation gespendet, die damals für Geflüchtete aus der Ukraine gesammelt hat. Auch ihr großes Bett und zwei Regale mit Büchern hat sie weggegeben, anderes landete direkt im Sperrmüll. Statt Eiche rustikal dominieren in ihrem Wohnzimmer nun Möbel in freundlichen, hellen Farben. „Es war ein bisschen Entrümpeln vom eigenen Leben“, meint sie und lächelt.
Idee von Sohn und Schwiegertochter
Es waren ihr Sohn und ihre Schwiegertochter Christin Rode, Leiterin der Therapie im Haus Reckeblick, die sie ursprünglich auf die Idee gebracht hatten mit dem Umzug; ihrem letzten, wie Elfriede Grewsmühl hofft. Sie sei den beiden dafür ausgesprochen dankbar. Auch für das Fotoalbum, in dem die gesamte Aktion dokumentiert worden ist. „Elfis Umzug“, steht auf dem Einband. Was ihr die Entscheidung zudem erleichtert hat: „Ich wohnte vorher auf der anderen Seite des Friedhofs, wo ich regelmäßig das Grab meines verstorbenen Mannes besuche“, berichtet sie. „Nun komme ich eben von dieser Seite.“ Dort treffe sie immer wieder auf Bekannte, mit denen sie sich gerne unterhalte, das sei ihr wichtig.
Dass im Quartier einige neue Kontakte dazukommen werden, davon geht die 72-Jährige aus. „Es soll ja gemeinsame Veranstaltungen geben“, freut sich Elfriede Grewsmühl. Eine Veranstaltung steht bereits fest: das große Einweihungsfest im August. Dass sie dort unter anderem auf Brigitte und Harald Kruse, Dorothea und Arno Jahner sowie Hannelore Fähnle treffen wird, dafür stehen die Chancen gut.