Systemrelevant? »Davon spüren wir wenig«

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Drei Grünauerinnen halten ein Plädoyer für die Jugendhilfe: Sie sind stolz auf ihren Zusammenhalt in Coronazeiten, aber wünschen sich eine höhere Wertschätzung ihres Berufstandes in der Pandemie.

»Die Jugendhilfe wird als systemrelevant bezeichnet, aber davon spüren wir wenig«, sagt Martina Wagner, Leiterin der Jugendhilfe Grünau, eine Einrichtung der Stiftungstochter Graf Recke Pädagogik gGmbH mit Sitz in Bad Salzuflen. Sie möchte die stationäre und teilstationäre Jugendhilfe in der Pandemie »stärker in den Fokus bringen«, denn: »Für uns gibt es kein kostenloses Angebot für PCR-Tests wie bei Lehrern oder Erziehern, keine Schnelltests wie in der Pflege.« Auch auf der Prioritätenliste bei den Impfungen sieht sie die Mitarbeitenden der Jugendhilfe nicht angemessen bewertet. »Das ist für uns nicht nachvollziehbar«, so die 47-Jährige.

Martina Wagner

leitet die Jugendhilfe Grünau.

Tatiana Bremer pflichtet ihr bei: In der stationären Jugendhilfe seien die Erzieherinnen und Erzieher den ganzen Tag mit Kindern und Jugendlichen zusammen, so die Teamleiterin der Intensivgruppe Kükenbusch in Bad Salzuflen. »Wir sitzen gemeinsam beim Essen, wir umarmen sie, bringen sie ins Bett.« Abstand halten? Kaum eine Chance. Wohngruppen der Jugendhilfe sind, je nach Gruppenform, mit privaten Familiensettings vergleichbar. Sie werden aber nicht so behandelt.

Ganz im Gegenteil: Die neue Corona-Arbeitsschutzverordnung erlegt den Pädagoginnen und Pädagogen das Tragen von FFP2-Masken auf, wenn sie im Dienst nicht den Mindestabstand von eineinhalb Metern einhalten können. »Wir arbeiten mit teilweise hochtraumatisierten Kindern«, sagt Tatiana Bremer. »Da ist die Mimik enorm wichtig!«

Tatiana Bremer

ist Teamleiterin im Kükenbusch.

Die Belastung der Pandemie wirkt sich nicht nur auf stationäre Settings aus, betont Sylvia Betsch, Pädagogische Leiterin in Grünau. »Bei den Tagesgruppen ist die Stressbelastung mit der der Kolleginnen und Kollegen im stationären Bereich absolut vergleichbar«, sagt die 53-Jährige, die schon seit 1993 in Grünau tätig ist. Auch die teilstationären Gruppen stünden vor der Herausforderung, Bildungsgerechtigkeit und Kinderschutz zu gewährleisten – gerade in der Coronazeit. »Jugendämter fahren zurzeit nicht mehr so häufig zu den Familien raus, das haben dann oft die Kollegen bei uns übernommen«, so Sylvia Betsch – eine zusätzliche gesundheitliche Gefährdung und aus ihrer Sicht ein weiterer Grund für eine höhere Priorisierung der Mitarbeitenden der Jugendhilfe.

Sylvia Betsch

ist Pädaogogische Leiterin in Grünau.

Anschluss nicht verlieren

Auch Homeschooling ist ein Thema aller Gruppen: »Wir müssen, gerade für unsere Kinder und Jugendlichen, dafür sorgen, dass sie den Anschluss an die Bildung nicht weiter verlieren.« Für die Mitarbeitenden der Jugendhilfe Grünau ist das, wie auch privat bei Eltern mit ihren Schulkindern, eine zusätzliche Belastung, die darüber hinaus personell kaum abzudecken sei. »Beim Personalbedarf durch Homeschooling wurde nicht gleich nachgesteuert«, berichtet Tatiana Bremer. »Wir müssen, wenn keine Schule ist, ja die Vormittage abdecken und die Beschulung selbst übernehmen.« Dadurch sei noch weniger Zeit für administrative und organisatorische Dinge. »Die laufen ja auch weiter.« Immerhin, so ergänzt Martina Wagner, sei jetzt bei den aktuellen Entgeltverhandlungen mit den Jugendämtern für die Zeit der Schulschließung ein Abschluss erreicht worden, der eine zusätzliche Unterstützung ermögliche.

Corona-Mehraufwand wird erstattet

Michael Mertens, Geschäftsführer der Graf Recke Pädagogik gGmbH, zu der die Jugendhilfe Grünau gehört, und Leiter der Graf Recke Erziehung & Bildung, verweist darauf, dass Träger der stationären Jugendhilfe im Rahmen der verhandelten Entgelte selbst für die Schutzausrüstung sorgen müssen. Auch das Jugendamt Düsseldorf hat den Trägern im Februar eine Pauschale pro Platz für den Corona bedingten Mehraufwand versprochen. »Wir haben in unseren Entgelten für 2021 diesen Mehraufwand auch zusätzlich kalkuliert«, so Michael Mertens.


Petition für die Jugendhilfe

In einer Petition an die Präsidentin des nordrhein-westfälischen Landtags setzen sich Mitarbeitende der Kinder- und Jugendhilfe für einen präventiven Gesundheitsschutz ihrer Berufsgruppe ein.
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Update 6. März 2021: Nach dem Erlass des Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 1.3. zählen Mitarbeitenden der Jugendhilfe, der Schulen und Kitas sowie die meisten Inklusionsbegleiterinnen und -begleiter nun auch zur Impfkategorie "hohe Priorität".
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Die Pandemie ist für viele, ja fast alle Menschen eine einzige Zumutung. Martina Wagner und ihren Mitarbeiterinnen ist bewusst, was ihre Kolleginnen und Kollegen in anderen Berufsgruppen leisten, wünschen sich aber mehr erkennbare Wertschätzung auch für ihren gesellschaftlichen Beitrag. Sylvia Betsch betont, dass ihr Berufsstand »Teilhabe an Bildung und Gesellschaft ermöglicht «, und das zurzeit mit einem extrem erhöhten Aufwand. Sie sagt aber auch: »Das ist von den Kolleginnen und Kollegen mit Bravour getragen worden. Wir hatten hier trotz der hohen Belastungen wenig Ausfälle. « Natürlich mache sich beim Blick auf die Test- und Impfstrategie teilweise auch Frust breit, aber vor allem führe das zu einer großen Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen, meint Sylvia Betsch.

Auch privat extrem eingeschränkt

Überhaupt, ergänzt Tatiana Bremer, habe die Coronazeit gezeigt, »wie gut unser System doch funktioniert und wie alle zusammenhalten. Natürlich gehört auch Glück dazu, dass wir bisher keine Coronaausbrüche hatten, aber wir wissen von Kollegen, die sich auch privat extrem eingeschränkt haben. Sie wollten das Virus auf keinen Fall in die Gruppen tragen, weil sie wussten, dass eine Quarantäne für ihre schon hochbelasteten Kinder die Hölle wäre.« Das zeige, so Tatiana Bremer weiter, »wie sehr hier allen die Kinder am Herzen liegen – und das macht unsere Arbeit ja aus.«

Martina Wagner ist es wichtig, die gute Unterstützung aus der Muttergesellschaft in Düsseldorf hervorzuheben: »Viele Mitarbeitenden fanden das total klasse, dass sie für ihre Arbeit in der Pandemie entsprechende Handreichungen bekommen haben.« Manchmal, gibt die Grünauer Einrichtungsleiterin zu, »ist man in der täglichen Arbeit ja von der Flut von Dokumenten genervt, aber diese Unterstützung durch den zentralen Pandemiestab hat wirklich Handlungssicherheit gegeben in den Gruppen.« Das sei gerade in diesen Zeiten wichtig, betont die Grünauer Einrichtungsleiterin: »Das vermittelt den Mitarbeitenden eine Sicherheit, die sie an die Kinder und Jugendlichen weitergeben können.«

Es lohnt sich, in der
Kinder- und Jugendhilfe
zu arbeiten.

Martina Wagner

Und deshalb ist sich Martina Wagner mit ihren Mitarbeiterinnen auch darin einig – ob vor, während oder nach der Pandemie: »Es lohnt sich, in der Kinder- und Jugendhilfe zu arbeiten.«

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