Wenn das Böckchen den Koch verfolgt
Ein bemerkenswerter zwölfter Platz unter 402 Düsseldorfer Teams: Beim diesjährigen Stadtradeln haben die Teilnehmenden der Graf Recke Stiftung 20.649 Kilometer gesammelt. Zwei Radelnde haben daran einen besonders hohen Anteil – nicht zuletzt, weil sie sich, ohne einander zu kennen, gegenseitig ordentlich Beine gemacht haben.
Auch 2023 wird der Graf-Recke-Stadtradel-Sieger seinen Titel nicht verteidigen. Wie schon sein Vorgänger Sebastian Kühl geht auch Ludger Koch, der 2022 mit über 1.138,6 die meisten Kilometer unter allen Recke-Radlern gesammelt hat, gleich nach diesem Erfolg in den Ruhestand. Ein Zusammenhang zwischen Radelerfolg und Rente ist jedoch nicht bekannt.
Rente ist für Meike Lindstädt noch kein Thema. Die 45-Jährige, die seit 2018 im Sekretariat der Graf-Recke-Schulen arbeitet, hat in der Kategorie der unmotorisiert Radelnden gewonnen, ist im Graf-Recke-Team mit 901,8 Kilometern auf Platz zwei gefahren. Und hat dem Erstplatzierten ordentlich Beine gemacht. "Eines Tages ist mir im Ranking eine Mitarbeiterin mit einen Pseudonym etwas zu nah gekommen", berichtet Ludger Koch, der unter seinem Klarnamen fuhr. Eine "Madame Böckchen" machte auf Platz zwei eifrig Kilometer. "Da bin ich", erzählt Ludger Koch, "am Abend gleich nochmal losgefahren!"
"Madame Böckchen", das ist tatsächlich Meike Lindstädt. Woher der Name? "Ich habe mich gleichzeitig mit einem Kollegen angemeldet und dabei haben wir ein bisschen Blödsinn gemacht." Das "Böckchen", erläutert sie, komme (auch wenn man das in Düsseldorf so ja nicht sagen dürfe, fügt Lindstädt hinzu) vom Geißbock, dem Maskottchen des Fußball-Bundesligisten 1. FC Köln. Und Madame? Da lacht Meike Lindstädt: "Das hat gar keinen Sinn".
Fast hätte das Böckchen den Koch noch auf die Hörner genommen. Dass er es bei seiner hartnäckigsten Verfolgerin mit einer Radfahrerin zu tun hatte, die mit reiner Muskelkraft fährt, hatte Ludger Koch nicht gewusst. "Sie ist ohne Motor gefahren?", fragt der 63-Jährige ungläubig nach, als er es erfährt. Und erkennt beeindruckt an: "Das ist ja wirklich eine stolze Leistung!"
Dabei fährt Meike Lindstädt nicht etwa eine Rennmaschine, sondern, erzählt sie, "ein altes gebrauchtes Herrenrad von meinem Bruder". Das aber sei sehr bequem, vor allem der "federnde Sattel" hat es der Schulsekretärin angetan. Der Konkurrenzgedanke war auch bei ihr sehr ausgeprägt. Den Kollegen Koch, Ergotherapeut im Sozialpsychiatrischen Verbund, habe sie natürlich auch im Blick gehabt und manches Mal geseufzt: "Boah, der ist schon wieder gefahren!" Auch im Kollegium der Graf-Recke-Schulen, deren Mitarbeitende als stiftungsinternes Team ohnehin zu den fleißigsten Radelnden gehörten, war die Konkurrenz groß, berichtet Lindstädt: "Da motiviert man sich gegenseitig und fährt schon mal Umwege, um noch mehr Kilometer zu sammeln – vor allem, wenn einem die Kollegin morgens sagt, sie sei heute auf dem Weg zur Arbeit auch schon einen Schlenker gefahren!" Am Ende haben die Schulsekretärin und ihre Kolleginnen und Kollegen vom 17-köpfigen "OldSchoolFun"-Team sich innerhalb der Graf Recke Stiftung nur dem aus 25 Radelnden bestehenden Team "Graf Recke Kirche" geschlagen geben müssen. Selbst Schulleiterin Diana Seng berichtet von spannenden Wochen während des Stadtradelns, in denen das Kollegium der Schulen das nicht so ernst gemeinte Motto "Bildung vor Kirche" ausrief. Am Ende aber lag die Kirche mit 7.405,1 Kilometern doch deutlich vor der Bildung mit ebenfalls respektablen 3.961,4 Kilometern.
Ohne Umwege auf dem Weg zur Arbeit und Zusatzfahrten in der Freizeit wäre Meike Lindstädt nicht auf ihre über 900 Kilometer gekommen. "Zur Arbeit sind es für mich nur acht Kilometer", berichtet sie. Bei ihren Umwegen habe sie auch ganz neue Wege entdeckt. Darüber hinaus habe sie in ihrer Freizeit ausgedehnte Radtouren mit ihrer Familie unternommen. "Mit meinem Sohn bin ich abends manchmal noch ein paar Runden gefahren, wenn mir noch Kilometer fehlten", macht Meike Lindstädt aus ihre Ehrgeiz kein Geheimnis. Ursprünglich habe sie sich 1.000 Kilometer zum Ziel gesetzt. Nur knapp hat sie ihre eigene Zielmarke verpasst. Die Schulsekretärin ist sich sicher: "Nächstes Jahr werden es noch mehr!" Doch unabhängig vom Stadtradeln: "Ich kenne jetzt auch ein paar schöne neue Wege! Und zum Einkaufen und zum Sport bin ich auch schon vorher geradelt und werde es auch weiter tun.“
Ludger Koch sagt über sich: "Ich bin gar nicht so der typische Radfahrer." Tatsächlich sei er vor allem durchs Stadtradeln motiviert worden. Schon voriges Jahr war er dabei und hatte nur und ausgerechnet seinen Vorgesetzten vorbeiziehen lassen müssen: Sebastian Kühl leitete damals den Bereich der Arbeits- und Ergotherapie im Sozialpsychiatrischen Verbund, wo auch Ludger Koch tätig ist. "Herr Kühl und ich haben uns damals auch immer nochmal hochgepeitscht – jetzt habe ich ihn in Rente geschickt, damit ich erster werde", lacht der Ergotherapeut.
Auf seinem Pedalec fühlt sich Ludger Koch wohl. "Ich bin viel am Rhein unterwegs gewesen, da hat man immer das Gefühl, gegen den Wind zu fahren.“ An ein paar Tagen sei er wirklich froh gewesen, dass er nochmal eine Stufe hochschalten konnte. „Bei einem normalen Rad hätte ich da schon gesagt: Ich brech' ab", gibt er freimütig zu. Doch mit seinem Pedelec war Koch nicht zu bremsen: "Ich bin morgens vor der Arbeit gefahren und nochmal abends. Mein Plan war, jeden Tag 60 Kilometer zu schaffen. Das hat nicht immer geklappt und manchmal kam auch das Wetter dazwischen."
Während seines anschließenden Wanderurlaubs in Südtirol habe ihm das Fahrrad dann richtiggehend gefehlt, sagt Ludger Koch. Ganz sicher werde Radfahren eines seiner liebsten Hobbys als Pensionär.