Praxis für Ergotherapie: Die Menschen wieder ins Handeln bringen

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Seit 2011 vermittelt das Team der Ergotherapie-Praxis in Düsseldorf ihren Klientinnen und Klienten größtmögliche Selbstständigkeit im Alltag, ob nach einem Schlaganfall oder bei psychischen Störungen. Die Therapieformen sind vielschichtig, vom Bewegungstraining bis zu Achtsamkeitsübungen. Um Unterstützung zu bekommen, muss man laut Bereichsleiterin Diana Lechleiter nicht schwer krank sein. Ergotherapie könne immer dann eine Hilfe sein, »wenn Menschen im ganz normalen Alltag an ihre Grenzen stoßen«.

Die vergangenen zweieinhalb Jahre waren für Nicole Gundert und ihr Team eine Herausforderung, »und auch für unsere Klienten«, das räumt die fachliche Leiterin der Praxis für Ergotherapie offen ein. Zunächst hatte die Pandemie ihre Arbeit massiv beeinträchtigt, im Sommer 2021 wurden dann auch noch die Praxisräume der Graf Recke Stiftung durch das Hochwasser der Düssel in Grafenberg überflutet und mussten in der Folge saniert werden. Und doch habe man das Beste aus der Situation gemacht, sagt die 43-Jährige und lächelt. »Dabei half uns unser eigenes Handwerkszeug.«

Ihr Handwerkszeug, das sind unterschiedlichste Therapieansätze, die Nicole Gundert und ihre Kolleginnen in der Praxis auf dem Stiftungsareal an der Grafenberger Allee anbieten: »Das Hauptziel ist die größtmögliche Selbstständigkeit für den Klienten im Alltag«, erklärt sie. »Der Weg dahin kann individuell sehr unterschiedlich sein.« In die Praxis kommen Menschen mit neurologischen Einschränkungen, etwa nach Schlaganfällen, mit Demenz oder Parkinson, genauso wie Klienten mit psychischen Erkrankungen, von Depressionen über Persönlichkeitsstörungen bis zu posttraumatischen Belastungsstörungen.

Ergo auf Rezept

»Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind« zu unterstützen und zu begleiten« , das ist nach Definition des Deutschen Verbands Ergotherapie e. V. die Aufgabe von Ergotherapie. »Ziel ist es, sie bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit in ihrer persönlichen Umwelt zu stärken.« Die Praxis für Ergotherapie an der Grafenberger Allee 339 in Düsseldorf ist ein Angebot der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik. Das Angebot der Praxis ist nicht Teil der Eingliederungshilfe, sondern richtet sich an Erwachsene aller Altersstufen, die von psychischen, psychosozialen oder neurologischen Beeinträchtigungen betroffen sind. Ergotherapie wird als Heilmittel ärztlich verordnet und ist somit eine Kassenleistung. Im Falle einer Zuzahlungsbefreiung entstehen keine weiteren Kosten. Das Angebot steht auf Wunsch auch Selbstzahlern zur Verfügung.

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Spezialisiert auf psychischen Fachbereich

Es gebe sehr wenige Praxen, die sich insbesondere auf den psychischen Fachbereich spezialisiert hätten, sagt Diana Lechleiter. »Entsprechend bringen die Kolleginnen viel Erfahrung mit.« Seit Sommer 2021 fungiert die 35-Jährige als Bereichsleiterin Tagesstruktur und Arbeit bei der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik und ist damit auch für die Ergotherapie-Praxis verantwortlich. Gedacht gewesen sei diese zum Start 2011 vor allem als niederschwelliges Angebot für auf dem Gelände lebende Klienten, die es in eine Praxis außerhalb »aus psychischen Gründen einfach nicht geschafft hätten«, sagt Diana Lechleiter, selbst Ergotherapeutin mit einem Bachelor in angewandten Therapiewissenschaften. Mittlerweile aber komme der überwiegende Anteil der Menschen von extern mit einer Verordnung durch einen Facharzt, man erweitere somit »das Portfolio der Stiftung«.

Blick in die Räume der Ergotherapiepraxis

Schwer krank muss man dafür nicht unbedingt sein. »Ergotherapie kann für viele Menschen, die in bestimmten Bereichen ihres ganz normalen Alltags an Grenzen stoßen, eine wichtige Unterstützung sein«, sagt Diana Lechleiter. »Damit ich den Weg wieder finde.« Nicole Gundert kann das bestätigen: Man versuche Verhaltensänderungen anzustoßen, die den Betroffenen das Leben erleichtern. Während etwa im neurologischen Bereich körperliche Bewegungsabläufe trainiert werden, könne es im psychiatrischen eher in Richtung eines verhaltenstherapeutischen Ansatzes gehen, sagt sie. »Was ist das Problem? Und warum?« So setzt beispielsweise das Programm »STEPPS« darauf, Fertigkeiten zu trainieren, damit Menschen mit emotionaler Instabilität auch im Gefühlschaos handlungsfähig bleiben. Andere überfordern sich schlicht in Schule, Job oder Familie. »Sie verfolgen eingespielte Routinen – und kriegen das plötzlich nicht mehr hin«, so Gunderts Erfahrung.

Diana Lechleiter

Bereichsleiterin Tagesstruktur und Arbeit

Ihnen soll ein von der Ergotherapeutin gemeinsam mit ihrer Kollegin Nadia Bernsau entwickeltes Programm eine Hilfe sein. »Es geht darum, eine Idee zu bekommen, wie viel Energie mir wirklich zur Verfügung steht, um meinen Alltag zu bewältigen«, sagt Nicole Gundert.

»Ein Augenblick ich!«, haben die Expertinnen ihr Programm überschrieben, Selbstachtsamkeit und Genuss stehen darin im Mittelpunkt. Nicole Gundert wählt eine Analogie zum Handy: Auch der Mensch brauche »eine Ladestation, wenn seine Energie schon zum Tagesbeginn nur bei 60 Prozent steht«, meint sie. Dazu gehöre es, auch mal »Nein« zu sagen und Genussmomente in den Alltag einzubauen. Das könne ein bewusstes Essen in Ruhe sein, ein Spaziergang oder ein Kinobesuch, so die Therapeutin. »Das Problem vieler ist, dass sie für alle anderen da sind, aber sich selbst dabei vergessen.« Um hier Fortschritte zu erzielen, sagt Gundert, seien vor allem Gespräche notwendig

»Das Problem vieler ist, dass sie für alle anderen da sind, aber sich selbst dabei vergessen.«

Nicole Gundert

Mit Ergotherapie wieder ins Tun kommen

Dinge »zu Ende bringen« ist laut Nicole Gundert ein immer wiederkehrendes Thema. »Oder überhaupt wieder ins Tun zu kommen.« Nicht ohne Grund steht das griechische Wort »Ergo« für Werk, Arbeit oder Handlung. Nach einem Schlaganfall etwa müsse zunächst die Bewegungsfähigkeit wieder hergestellt werden, wenn etwa ein Arm oder eine Hand gelähmt sei. Dabei kämen Grob- und Feinmotorik ins Blickfeld oder auch die Sensibilität, sagt sie. Um Hirnleistung oder Konzentration zu trainieren, kommen spezielle Computerprogramme zum Einsatz, zuweilen aber auch schlicht Gesellschaftsspiele.

»Ich finde es total spannend, wie abwechslungsreich der Beruf ist«, begründet Nicole Gundert ihre Berufswahl. Und so hat die gebürtige Saarländerin sich im Anschluss an eine Krankenpflegeausbildung zur Ergotherapeutin ausbilden lassen. »Ich war schon immer kreativ und wollte etwas machen, wo das eine Rolle spielt«, sagt sie. »Andererseits wollte ich mit Menschen zu tun haben.« In einer Rehaklinik hatte sie zunächst gearbeitet, »da war ich auch glücklich«, dann aber ihren späteren Mann kennengelernt – und der kommt aus Düsseldorf. Den Umzug ins Rheinland vor rund zehn Jahren habe sie nie bereut, meint sie mit einem Lachen. Das gilt beruflich genauso wie privat.

Was das Paar verbindet, das ist die Leidenschaft für Minigolf. Allerdings auf höchstem Niveau. Ihr Mann habe lange Zeit mit dem MGC Dormagen-Brechten in der Bundesliga gespielt, verrät Nicole Gundert. Sie selbst ist noch immer in ihrem Stammverein 1. MGC Mainz aktiv. Erst im September war die Leistungssportlerin mit ihrem Team bei den Champions League Finals in Portugal am Start, gemeinsam holte man Silber. Die Zweitbesten Europas – und doch eine kleine Enttäuschung für die 43-Jährige, holte ihr Club in den vergangenen zwölf Jahren doch neun Mal den Titel. Ausgerechnet die Minigolferinnen des Vereins ihres Mannes hatten 2022 etwas dagegen.

Dass sich Nicole Gundert, mit etwas Abstand, nun doch über den zweiten Platz freuen kann, passt ins Bild: Das Gute erkennen, Situationen ins Positive zu wenden, gehört in der Praxis für Ergotherapie dazu. Das gelte selbst für das verheerende Hochwasser, betont Bereichsleiterin Diana Lechleiter voll Überzeugung. »Wir haben die Chance bekommen und genutzt, die Praxis zu modernisieren.« Die drei Behandlungsräume und das Büro vermitteln in hellen Farben »nun eine positive, eine Wohlfühlatmosphäre«, sagt Lechleiter. Das habe auch Einfluss auf die Klienten, glaubt sie.

Für Nicole Gundert ist es am schönsten, mit den Klienten gemeinsam einen Weg zu gehen, der zu einer nachhaltigen Veränderung führt. Sie wolle den Menschen helfen, »wieder klarzukommen«, bringt sie es etwas salopp auf den Punkt. Und deshalb empfindet die Ergotherapeutin es als großes Kompliment, wenn eine Klientin etwa zu ihr sagt: »Tschüss Frau Gundert, ich traue mir den Weg jetzt alleine zu.« Sie lacht. Zu ihrem Beruf gehöre es einfach dazu, Menschen ziehen zu lassen. //

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