Miteinander im Gespräch: Bericht und Video vom Fachtag "200 Jahre Heimerziehung"

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Beim Fachtag „Aus 200 Jahren Heimerziehung lernen“ der Graf Recke Stiftung und dem evangelischem Erziehungsverband EREV diskutierten Profis über Partizipation und Selbstbestimmung – gemeinsam mit den jungen Menschen.

„Aus 200 Jahren Heimerziehung lernen“, unter diesem Motto stand ein gemeinsamer Fachtag der Graf Recke Stiftung und des evangelischen Erziehungsverbandes EREV in der Graf Recke Kirche in Düsseldorf-Wittlaer. Im Jubiläumsjahr der Sozialstiftung diskutierten Expertinnen und Experten vor Ort und im Livestream über eine gelingende Jugendhilfe heute. Partizipation und Selbstbestimmung, da waren sich die Anwesenden einig, seien dabei von zentraler Bedeutung. Und dies wurde bei der Veranstaltung auch gelebt: Die jungen Menschen selbst prägten Fachtag und Diskussion in besonderer Weise.

Video: Eindrücke vom Fachtag

Die Radio- und Fernsehjournalistin Anke Bruns hatte mit Jugendlichen, die in Einrichtungen der Graf Recke Stiftung aufwachsen, vorab mehrere Kurzfilme gedreht, in denen sie ihre Vorstellungen vom Leben und ihre Wünsche formulierten, es gab neben Lob („Ich kann mich hier entfalten“) auch deutliche Kritik: an den Ausgehregelungen in den Wohngruppen etwa oder an bescheidenem WLAN-Empfang und eingeschränkter Handynutzung. Bemerkenswert und mutig, befand Holger Wendelin die Vorgehensweise der Veranstalter. „Jugendliche werden explizit aufgefordert, zu erzählen, was nicht gut läuft“, merkte der Erziehungswissenschaftler an. „Das ist ein Kulturwandel, das hat mit Haltung zu tun.“

Riesige Anstrengungen

Der Professor an der evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum hatte zum Einstieg in den Fachtag aus seiner Studie zitiert, die er im Auftrag der Graf Recke Stiftung anlässlich des 200. Jubiläums erstellt hatte – von der Rettungshausbewegung ab 1822 bis heute. Er erinnerte dabei an eine nicht selten finstere Vergangenheit der Kinderheime, nicht nur zur Nazizeit, in der Gewalt und Strafe selbstverständlicher Teil der Heimerziehung gewesen sei. „In den letzten 20 bis 25 Jahren aber hat eine enorme Entwicklung stattgefunden“, so Wendelin. Und doch bedürfe es weiter „riesigen Anstrengungen“, um gegen die Stigmatisierung der jungen Menschen anzukämpfen.

Lorenz Bahr, Staatssekretär im NRW-Familienministerium, verdeutlichte in seinem Grußwort, „wie wichtig und richtig“ es sei, das Thema Partizipation aufzugreifen. Für Remi Stork, Professor für Kinder- und Jugendhilfe, ist dabei das Bedeutendste, mit den Kindern und Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. „Dafür braucht es Zusammenkünfte, auch wenn beide Seiten das erfahrungsgemäß nicht mögen“, sagte er. Mitbestimmung heiße nicht, dass die Erwachsenen ihre Verantwortung abgeben, „sondern dass sie Kinder und Jugendliche mit in die Verantwortung nehmen“. Dass diese im Film sowie auf dem Podium ihre Sicht der Dinge darlegten und sich immer wieder in die Diskussion mit den Profis einbrachten, nannte Stork daher „ein Highlight, ein solcher Dialog ist ja genau das, worüber wir sprechen“.

Ein heterogenes Bild

Und während EREV-Geschäftsführer Björn Hagen die Auswirkungen des neuen Kinder- und Jugendstärkungsgesetzes (KJSG) in den Blick nahm, erläuterte Stephan Siebenkotten-Dalhoff vom Jugendamt Düsseldorf, welche Auswirkungen dieses auf den Arbeitsalltag hat. So werde etwa demnächst eine Beschwerde- und Ombudsstelle im Jugendamt eingerichtet, versprach er. Kerstin Schwabl, Referentin „Erzieherische Hilfen“ bei der Diakonie RWL, schließlich konstatierte, dass sich alle 140 Mitgliedseinrichtungen „in Sachen Partizipation auf den Weg gemacht haben“. Und doch zeige sich bislang noch „ein heterogenes Bild“.

Mit dabei beim Fachtag: das Jubiläumsmobil der Graf Recke Stiftung, das im Jahr des 200-jährigen Bestehens der Stiftung durch das Verbreitungsgebiet tourt.
Der Eingang zum Ort des Geschehens: Der Fachtag fand in einem historischen Gebäude statt - der 112-jährigen Graf Recke Kirche in Düsseldorf-Wittlaer.
Im Fokus der Kameras: Mit Blick auf Corona war die Teilnehmendenzahl vor Ort begrenzt, ein Livestream ermöglichte allen anderen Interessierten die Teilnahme.
Gesagt, getan: Nachdem beim Einsatz des Jubiläumsmobils beim Zakk-Straßenfest erste Kontakte geknüpft worden waren, konnte Massoud Jabbari (links) vom Gutenachtbus Düsseldorf nach dem Ende der Veranstaltung den übriggebliebenen Teil des Buffets für Menschen, die auf der Straße leben, verwerten.

Mehr zum Thema

"Rettungshaus, Anstalt, Stiftung – 200 Jahre Heimerziehung im Spiegel der Graf Recke Stiftung" - die Studie von Professor Holger Wendelin ist in der EREV-Reihe "Theorie und Praxis der Jugendhilfe" erschienen. Mehr Infos und Bestellmöglichkeit gibt es

hier auf den Seiten des EREV

Für Michael Mertens wurde deutlich, „dass wir sehr gut sind, uns aber noch weiterentwickeln können“. Der Leiter der Graf Recke Erziehung & Bildung hatte die Co-Moderation des Fachtages übernommen, während Marie Stermann kurzfristig für ihre erkrankte Mutter Anke Bruns eingesprungen war. Die Journalistin meldete sich am Ende der Veranstaltung per Videoschalte: „Ihr habt einen großartigen Fachtag hingelegt“, sagte sie, die intensiv in die Vorbereitungen eingebunden war. Ihr Lob ging explizit auch an ihre Tochter und die jungen Leute vor Ort, „die so kluge Fragen gestellt haben“. Ob sich die Veranstaltung denn auch für sie gelohnt habe, wollte Bruns wissen. Ebenso kurze wie klare Antwort einer Jugendlichen: „Definitiv!“

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