Mit Leidenschaft: Von der Bühne ins Ahorn-Karree
Jahrzehntelang lebte Alexandra Czenia-Kunz für den Tanz. Sie begann ihre Ballettausbildung schon als Kind, studierte an der Tanzakademie in Köln, trat als erste Solistin in renommierten Häusern auf, von Hamburg bis Monte Carlo. Das ist vorbei. Heute arbeitet die 49-Jährige als Aufnahmemanagerin im Dorotheenviertel Hilden und für das neue Ahorn-Karree. Die Beratung der Menschen ist für sie eine beglückende Erfahrung, wie früher ein Auftritt auf der Bühne.
Wenn Alexandra Czenia-Kunz Interessierte durchs neue Ahorn-Karree führt, kommt sie regelrecht ins Schwärmen: die kleinen Wohngruppen, der künftige Boulevard mit Supermarkt und Friseursalon, der große Garten. „Das ist das Besondere“, sagt sie dann. „Die ruhige, fast idyllische Atmosphäre ermöglicht ein würdevolles Leben, auch für Menschen mit Demenz.“ Und weil das so ist, kann sie sich im Moment keine schönere Aufgabe denken, als Menschen über dieses Leuchtturmprojekt der Graf Recke Stiftung zu informieren, sie im besten Fall dafür zu gewinnen. „Ich bin so, so dankbar“, sagt sie. Und das hat Gründe.
Seit gut zweieinhalb Jahren verantwortet Alexandra Czenia-Kunz das Aufnahmemanagement für die Senioreneinrichtungen im Dorotheenviertel Hilden. Sie ist bei Anfragen in der Regel erste Ansprechpartnerin, für potenzielle Bewohner, noch häufiger aber für deren Angehörige. Gerade diese seien oft in großer Not, wenn der Partner, die Mutter oder der Vater nicht mehr im eigenen Zuhause leben kann, weiß sie. „Ich versuche, die Menschen aufzufangen.“ Für Czenia-Kunz eine absolut sinnstiftende Tätigkeit, wie sie sagt. Sie habe einst befürchtet, nur noch für ihr Geld arbeiten zu müssen, verrät sie. Aber schnell habe sie erkannt, dass sie hier die gleiche Leidenschaft für ihre Arbeit entwickeln kann. Sie strahlt.
Theater und Opernhäuser
Um dies verstehen, ihr Glück fassen zu können, muss man die Biographie von Alexandra Czenia-Kunz kennen: Denn bis vor wenigen Jahren drehte sich bei der heute 49-Jährigen fast alles um den Tanz. „Ich kannte nichts anderes, hatte nie etwas anderes gemacht“, berichtet sie. Was einst im zarten Alter fünf Jahren begann, führte sie später auf die großen Bühnen, sie tanzte als erste Solistin an renommierten Theatern und Opernhäusern, von Hamburg bis Stuttgart, von Erfurt bis Monte Carlo. Kurzum: Der Tanz war nicht allein ihre große Leidenschaft, er war ihr Leben.
„Ich habe schon mit vier gefragt, ob man das beruflich machen kann, und von da an wollte ich Tänzerin werden“, erzählt Alexandra Czenia-Kunz. In Haan aufgewachsen, war ihr dafür keine Mühe zu groß und kein Weg zu weit: Nachdem sie bereits mit acht Jahren an der Tanzakademie der Kölner Musikhochschule aufgenommen worden war, brachte sie ihre Mutter mehrmals wöchentlich zum Training, ihre Hausaufgaben machte sie im Auto. Später, als sie aufs Gymnasium ging, nahm die Jugendliche den Zug nach Köln, bald täglich, sogar am Samstag. Sie war begabt und hatte Ehrgeiz.
Ich habe schon mit vier gefragt, ob man das beruflich machen kann, und von da an wollte ich Tänzerin werden.
Das brachte der Tänzerin im Alter von 13 Jahren einen Auftritt im WDR-Fernsehen ein, wo die Wuppertaler Tanztheater-Pionierin Pina Bausch sie sah – und einer anderen Koryphäe empfahl. Regiegröße Werner Schroeter, neben Rainer Werner Fassbinder oder Wim Wenders ein bedeutender Akteur des Neuen Deutschen Films, suchte in jener Zeit für eine Inszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus eine Elevin. Sie tanzte vor – und wurde prompt für insgesamt 30 Vorstellungen in „Dona Rosita bleibt ledig“ engagiert, weitere Produktionen schlossen sich an. „Das war mein Sprungbrett“, erinnert sich Alexandra Czenia-Kunz. Pina Bausch habe ihr den Boden bereitet, als Vorbild und in gewisser Weise auch als Entdeckerin. „Wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich vieles nicht tun können.“
Wie ein Rausch
Fortan aber war die junge Tänzerin nicht mehr aufzuhalten: Ihr Studium in Köln beendete sie mit knapp 19 Jahren mit einem Diplom als staatlich geprüfte Balletttänzerin und Tanzpädagogin, ein erstes Engagement führte sie ans Staatstheater Braunschweig, viele weitere sollten folgen. Neben Talent nennt Alexandra Czenia-Kunz „unbedingten Willen und eiserne Disziplin“ als Grundlagen für den Erfolg. Sie habe darüber hinaus viel Glück gehabt, dass ihr Körper das alles mitgemacht habe. „Diese extremen Bewegungen und Sprünge, die völlig unnatürlich sind.“ Tanzen, meint sie, das sei „wie ein Rausch“. Erst am Ende eines Stücks bemerke man, wie anstrengend das eigentlich sei.
Auch aus diesem Grund war für sie mit Mitte 30 Schluss. „Mir war immer klar, dass ich aufhöre, bevor ich keine Rollen mehr bekomme“, sagt Alexandra Czenia-Kunz. Sie hatte zudem alles getanzt, klassisch, modern, viel Tanztheater; den „Sterbenden Schwan“ genauso wie die Titelrolle in einem Stück über das Leben von Hannelore Kohl. Und so eröffnete sie nach der aktiven Zeit in einer alten Fabrikhalle in Leichlingen ihre eigene Ballettschule. Das sei gut angelaufen, meint sie. „Aber ich habe auch gemerkt, dass ich einen anderen Ehrgeiz hatte als die meisten Schüler.“ Das größte Manko jedoch: Sie empfand fürs Unterrichten keine echte Leidenschaft. Nach fünf Jahren hat sie die Schule verkauft.
Und so begann für die Haanerin ein neuer beruflicher Lebensabschnitt. Als Choreographin und Eventmanagerin hat sie für große Firmen gearbeitet, hat als Coach und Personal Trainerin zudem Privatpersonen vorangebracht. Eine Begegnung sollte ihr Leben erneut verändern: „Eine Freundin bat mich darum, ihre schwer kranke Mutter zu betreuen und zu trainieren“, berichtet sie. Mit durchschlagendem Erfolg: „Drei Monate später stand die 83-Jährige zum Gardinenwechseln wieder auf der Leiter“, erzählt sie lachend. „Das hat mir so viel Freude gemacht, dass ich danach in den sozialtherapeutischen Dienst gewechselt bin.“
Selbstbestimmt auch mit Demenz
Alexandra Czenia-Kunz hatte ihr neues Berufsfeld gefunden – und eine neue Begeisterung. Zwei Jahre lang studierte sie Gesundheitswissenschaft in Witten-Herdecke, absolvierte Schulungen, insbesondere im Umgang mit Demenz. Schon lange hatte sie zudem ein Auge auf das in Hilden entstehende Ahorn-Karree geworfen, wie sie sagt. „Ich wollte unbedingt hier arbeiten, weil ich es sensationell fand, wie man in der Stiftung auf Entwicklungen im Nachbarland schaut und nicht, wie so viele, einfach wieder weg. Dass man Errungenschaften aus den Niederlanden wirklich umsetzt.“
Nun ist die 49-Jährige selbst Teil des Teams, das sich täglich um einen anderen, wertschätzenden Umgang mit Menschen mit schwersten demenziellen Veränderungen bemüht. „Was für andere Einrichtungen Luxus ist, ist für uns eine Selbstverständlichkeit: Trotz Unterbringungsbeschluss sollen die Menschen ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen.“ Das mache die Graf Recke Stiftung möglich, bereits jetzt im Haus Ahorn. Die Bewohner hätten eine Tendenz zur Bewegung, so ihre Erfahrung, in Hilden könnten sie raus „und rennen nicht gegen Wände“. Man sei damit wirklich eine Ausnahme: „In anderen Häusern kriegen sie zum Teil nicht einmal die Jahreszeiten mit.“
Und so kann Alexandra Czenia-Kunz die Ängste vor einem anstehenden Umzug durchaus verstehen. Die von Demenz Betroffenen seien häufig gar nicht verzweifelt oder traurig, es seien die Angehörigen, die belastet sind. „Es sind ja häufig Menschen, die einen Partner oder ein Elternteil jahrelang zu Hause gepflegt haben, die sind nicht selten am Rande ihrer Kräfte“, sagt sie. Sie fragten sich: „Wie soll es denn jetzt weitergehen und wie kann ich das finanziell alles stemmen?“ Dann könne sie oft beruhigen, mit konkreten Antworten. Zuweilen aber brauchten Menschen vor allem ein offenes Ohr. „Zuhören und Trösten sind ganz wichtig.“
Dankbarkeit statt Applaus
Was damals der Applaus war, das ist jetzt die Dankbarkeit, die ihr entgegengebracht wird. Für sie sind das beglückende Erfahrungen, wie früher auf der Bühne. Dass sie etwas Sinnvolles mache, spüre sie jeden Tag, sagt Alexandra Czenia-Kunz. „Wenn ich mit den Leuten durch die neuen Häuser gehe, macht mich das zufrieden und glücklich.“ Erst vor Kurzem habe sie mit einer Frau telefoniert, deren Vater sie habe einen Platz anbieten können. „Die Tochter hat vor Glück geweint. Und ich hätte fast mitgeheult.“
Gut möglich, dass sie dem älteren Herrn auch nach dessen Umzug bald etwas Gutes tun kann. „Wir haben dieses tolle Quartier und wollen das Leben reinholen. Wir nennen das umgekehrte Inklusion“, erläutert sie. Denn neben ihren täglichen Aufgaben hat sich Alexandra Czenia-Kunz jüngst zur Quartiersmanagerin weiterbilden lassen, will gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen künftig Projekte und Events anbieten. Sie, die ihre Tanzschuhe als Profi an den Nagel gehängt hat, die in ihrer Freizeit jetzt gerne Rad fährt oder Theateraufführungen besucht, lässt die Vergangenheit nämlich doch nicht ganz los.
Eine erste Idee seien Tanznachmittage in der Aula im Dorotheenviertel, verrät sie dann. „Mit Livemusik.“ Die Kinder und Jugendlichen aus den benachbarten Wohngruppen könnten dabei wichtige Aufgaben im Hintergrund übernehmen, „backstage“, wie es die Künstlerin ausdrückt. Die Bewohner allerdings und auch ihre Angehörigen seien hingegen zum Tanz aufgefordert. In einem nämlich ist sich Alexandra Czenia-Kunz nach wie vor sicher: „Tanzen“, sagt sie, „Tanzen macht glücklich.“