Lehren aus dem Lockdown

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Was Corona den Schülerinnen und Schülern in allen Schulformen abforderte, ist in der Öffentlichkeit viel diskutiert worden. Zwangsläufig haben auch die Lehrerinnen und Lehrer viele neue Erfahrungen gesammelt. Und auch wenn die Förderschulen der Graf Recke Stiftung schon länger auf digitalen Wegen wandeln, war Corona auch hier ein Treiber für die digitale Lehre. Doch die Erfahrungen gehen weit über diese technischen Fragen hinaus.

Extrem flexibel« sei ihr Kollegium gewesen, sagt Diana Seng, Lei­terin der Schule II der Graf Recke Stiftung, als das Coronavirus die Welt veränderte. »Auch wenn viele Außen­stehende offenbar den Eindruck hatten, Leh­rer hätten in der Zeit des Lockdowns nicht arbeiten müssen.« Dabei taten die meisten Lehrerinnen und Lehrer das, was Menschen in vielen Arbeitsbereichen taten: Sie arbei­teten von zu Hause aus. So fanden auch die Telefonkonferenzen statt. »Mit Lehrern was ganz Neues«, stellt Diana Seng fest. Doch nach einer ersten Telefonkonferenz mit den Teamsprecherinnen hätten diese das ganz schnell auf ihre eigenen Teams ausgeweitet. »Die Kommunikation auf diesem Wege ist so klasse und so schnell, dass ich mir vorstellen kann, in bestimmten Situationen auch später so weiterzumachen.«

Etwas problematischer war das Home­schooling, meint Diana Seng, als Schul­leiterin zuständig für die Schüler mit den Förderschwerpunkten »Emotionale und soziale Entwicklung« im Bereich der Primar- und Orientierungsstufe sowie für den Bereich »Geistige Entwicklung«. »Wir sind es ja gewohnt, direkt mit Schülern zu kommunizieren, da war Homeschooling ein echter Perspektivwechsel.« Über die Unterrichtsinhalte mussten sich die Leh­rer – und Schüler – erst mal mit den unter­schiedlichen Medien auseinandersetzen. »Das wurde in der Öffentlichkeit eigentlich nie so benannt, was das für eine gewaltige Umstellung ist.«

»Was mich gefreut hat, ist, wie positiv unsere Lehrerschaft da rangegangen ist«, betont die Schulleiterin. Dabei mussten natürlich die individuellen Möglichkeiten der Schüler berücksichtigt werden: »Wir haben das Material auf ganz unterschiedlichen Wegen rausgegeben und zurückbekommen, da gab es Kinder, denen wir die Unterlagen sogar per Post gesendet haben.« Auch die Wohngruppen der Graf Recke Erziehung & Bildung, aus denen sich ein großer Teil der Schülerschaft rekrutiert, sind noch recht unterschiedlich ausgestattet. Diana Seng hofft auf einen positiven Effekt durch die Landesfördermittel, die nun wegen Corona zur Verfügung gestellt wurden.

Die Graf-Recke-Schulen sind zwar schon seit drei Jahren mit Mitteln eines Landes­förderprogramms für die Digitalisierung der Schulen unterwegs, sodass Diana Seng sagen kann: »Wir waren durch die digitale Schule ganz gut vorbereitet.« Diese Digitali­sierung spielte sich aber mehr innerhalb der Schulen ab. Beim Homeschooling hat Coro­na jedoch noch einige digitale Brüche auf­gezeigt. So fehlten die hierfür notwendigen »Lernplattformen«. Dazu habe jetzt ein jun­ges Start-up-Unternehmen aus Düsseldorf eine Lösung präsentiert. »Die wollen wir ausprobieren«, sagt Diana Seng. Schließ­lich sei nicht auszuschließen, dass, je nach Infektionsgeschehen, zwischenzeitlich wie­der Schließungen anstünden.

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Ende Mai waren alle wieder da

Die Wiederaufnahme des Schulunter­richts nach dem Lockdown im März war in allen Schulen ein großes Thema. Ab Mitte Mai fuhren die Systeme wieder hoch. Wie funktionierte der Wieder­beginn in den Graf-Recke-Schulen? Benedikt Florian konstatiert für seine Schule I besonders gute Bedingungen in Coronazeiten, da kleinere Klassen in Förderschulen naturgemäß größere Abstände ermöglichen. »Wir können fast alle Schüler in unterschiedlichen Zeitabständen dahaben.« Schon damals stellte der Leiter der Schule mit dem Förderschwerpunkt »Emotionale und soziale Entwicklung« im Bereich der Se­kundarstufe I fest: »Es fühlt sich schon wieder wie normale Schule an.« Ende Mai nahmen die Förderschulen wieder komplett ihren Betrieb auf, dann kamen auch die Schüler mit dem Förderschwer­punkt »Geistige Entwicklung« wieder.

Auf diese Möglichkeit sind die Schulen vorbereitet. »Für unsere Primarstufe und im Bereich ›Geistige Entwicklung‹ bis Klasse zwölf setzen wir auf das Prinzip der Nach­verfolgung«, erklärt sie. »Wir arbeiten eh in kleineren Klassen in Bezugslehrersystemen. Wir können nicht überall eineinhalb Meter Abstand halten, also bleiben die Grup­pen zusammen und wir können bei einem Infektionsgeschehen auch gruppenweise handeln.« Soll heißen: Statt der ganzen Schu­le müssten bei auftretenden Coronafällen nur die direkt betroffenen Gruppen in Qua­rantäne.

»Mehr Kraft, als wir dachten.«

Einen anderen Aspekt von Corona in der Schule hatte schon zu Beginn des Lock­downs Astrid Jacobs, Lehrerin an der Schul­stelle Heckenwinkel, beobachtet und in einer Mail berichtet: »In dieser außerordent­lich schweren Zeit gibt es überraschend auch sehr Gutes: Da ist ein Zusammenhalt spürbar und zum ersten Mal empfinden wir die Stille auf dem Campus und hören wäh­rend unserer Pausen in der Frühlingssonne das Vogelgezwitscher.«

Fast fünf Monate später ist es mit der ganz großen Ruhe auf dem Areal der Stiftung in Düsseldorf-Wittlaer schon wieder vorbei, aber Astrid Jacobs ist immer noch gerade­zu beseelt von ihren Erfahrungen. »Das war ja die Anfangszeit während des Lockdowns. Aber ich würde das auch heute so sagen, dass man in allen Phasen diesen Zusammenhalt gespürt hat und was daraus wachsen konn­te«, berichtet sie im Telefongespräch. »Das ging Hand in Hand, jeder wusste, was zu tun war. Die Verunsicherung durch das Virus kam von außen, aber es hat uns als Team zusammengeschweißt. Das war ja teilweise spooky, wenn wir draußen standen und auf dem Campus alles ruhig war. Aber wir haben die Periode sehr, sehr gut gemeistert.«

Die Phase des Lockdowns sei abgelöst worden von der Phase, als »wir wieder unterrichten durften«. Natürlich weiter­hin nach den Spielregeln der Pandemie: »Da haben wir Klassenräume vorbereitet, Abstand gemessen, alle waren so struktu­riert und gut vorbereitet.« Für die 48-Jährige ein Beweis für die Kräfte und das Potenzial, das jeder Einzelne, aber auch der Teamgeist hervorbrachte: »Klar, man kennt die Res­sourcen und Kompetenzen der Einzelnen, dass man das aber in Krisenzeiten so wuppt, das fand ich wirklich erstaunlich.«

Im kleinen Team der Schulstation Hecken­winkel mit Astrid Jacobs als Fachlehrerin, zwei Sonderpädagoginnen und einem Werk­lehrer kam während der Coronazeit noch etwas »on top«, so Jacobs: »Unser Umzug war echt ’ne Hausnummer. Wir mussten in dieser Zeit drei Schulstellen auf eine redu­zieren, mussten extrem viel ausmisten und entsorgen.« Dass dann aber die durch diverse Umbauten und Konzeptänderungen auf drei Standorte verteilten Schüler und Pädagogen wieder unter einem Dach zusammenkamen, hat Astrid Jacobs ebenfalls sehr bewegt: »Das ist für uns eine so große pädagogi­sche Erleichterung – unglaublich!« Und auch für die Schülerinnen und Schüler sei diese gemeinsame Schulstelle sehr wichtig – ganz abgesehen von der Freude über das schöne neue Gebäude.

Glaubt Astrid Jacobs, all diese positiven Kräfte und Erfahrungen mit in die Zukunft nehmen zu können? »Absolut!«, kommt ihre Antwort wie aus der Pistole geschossen. Für den Umgang miteinander und die eige­nen Ressourcen habe sie einen noch einmal geschärfteren Blick bekommen: »Wenn es hart auf hart kommt, können wir das meis­tern. Wir haben mehr Kraft, als wir dachten.«

»Sehr, sehr optimistisch« gehe sie nun in die nächste Zeit, so Astrid Jacobs, die schon fast ein Vierteljahrhundert in den Graf- Recke-Schulen tätig ist. »Da schaut man ganz natürlich nicht nur auf gute Zeiten zurück, aber auch die schwierigen haben mich getragen und etwas gelehrt.«

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