„Keiner will so etwas nochmal erleben“

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Pflegedienstleiter Nikolaj Petrikevic, gerade frisch geimpft, über den Coronaausbruch im Haus Buche im Dezember und die Hoffnung, dass Nähe und Gemeinschaft bald wieder möglich sind.

Nikolaj Petrikevic kommt gleich zum Wesentlichen: „Ich habe gerade meine Impfung erhalten“, berichtet der Pflegedienstleiter des Seniorenheims Haus Buche gleich zu Beginn des Videointerviews. Unerwartet schon am ersten Tag: „Wir haben viele Dosen erhalten, sodass einige Mitarbeitende vorgezogen wurden, um nichts zu verschwenden.“ Es gehe ihm gut und tue nichts weh, berichtet der 49-Jährige. Sein Chef, Einrichtungsleiter und Pandemiekoordinator Marek Leczycki, habe ihm gesagt, er solle auf jeden Fall noch im Haus bleiben, so kurz nach der Impfung. Darauf habe er geantwortet: „Ich bin noch zum Zoominterview mit Herrn Bleeker verabredet. Der wird Sie sicher anrufen, wenn ich währenddessen umfalle!“

Die Stimmung ist gut beim Nikolaj Petrikevic. Natürlich blickt er zurück auf eine massiv von der Pandemie geprägte Zeit. Er findet aber auch, es sei „Glück im Unglück, den Pflegeberuf gewählt zu haben“. Zeit, eine pandemiebedingte Depression zu entwickeln, habe er gar nicht gehabt: „Ich gehe zur Arbeit, habe meine geregelten Arbeitszeiten, auch wenn manche Tage länger werden. Aber ich bin nicht zuhause eingesperrt, nicht in der Kurzarbeit und auch mein Gehalt wird zu hundert Prozent ausgezahlt.“

500 Prozent gegeben

Nikolaj Petrikevic jammert nicht, sieht die guten Seiten. Aber ganz ohne Zweifel kennt er auch die schlimmen: Nikolaj Petrikevic arbeitet im Haus Buche, der ersten und bisher einzigen Einrichtung der Graf Recke Stiftung, in der es Ende November zu einem unkontrollierten Ausbruch kam. „Als es losging, war ich noch im Urlaub.“ Gleich nach seiner Rückkehr habe sich herausgestellt, dass auch die Wohnbereichsleitung positiv war und in Quarantäne musste, wie insgesamt 16 Mitarbeitende des Hauses. „Die wenigen, die verschont wurden, haben 500 Prozent gegeben“, berichtet Petrikevic. „Wenn man überlegt, dass auch die überwiegende Zahl der Bewohner positiv war, war das schon körperlich eine Herausforderung. Die Mitarbeitenden gehen in die Schicht, ziehen direkt Overalls an und verbringen den kompletten Tag so im Dienst.“

Körperlich anstrengende Arbeit seien seine Leute gewohnt, so Petrikevic. Doch hinzu kam eine enorme seelische Belastung: „Zu sehen, wie Bewohner diese strikte Isolation einhalten müssen, alte Menschen, teilweise demenziell so sehr verändert, dass sie es gar nicht begreifen können, nur wissen, dass sie nicht mehr rausdürfen – dieser Kummer und diese Hilflosigkeit, das hat uns am meisten zugesetzt.“ Und natürlich das Leid und der Tod, welche das Virus ins Haus brachte: Insgesamt 34 der 54 Bewohnerinnen und Bewohner erkrankten, teils asymptomatisch, aber teils auch sehr schwer. Und zehn starben in der Zeit des Ausbruchs, sieben mit, drei durch das Virus. „Das muss alles noch verarbeitet werden“, sagt Nikolaj Petrikevic. „Während der harten Zeit haben wir in jeder freien Minute darüber gesprochen, wenn wieder ein Bewohner nicht aus dem Krankenhaus zurückkam. In all der Trauer haben sich viele Mitarbeitende geöffnet und es entstand eine so vertrauensvolle Atmosphäre. Das hat uns gut durch die Zeit gebracht.“

Herzlich willkommen: Alles ist vorbereitet für die Impfungen im Dorotheenviertel Hilden.
Bereitschaft auch bei skeptischen Mitarbeitenden kontinuierlich gewachsen: Reges Treiben im "Impfzentrum" im Haus Ahorn.
Das Impfteam: Mit Unterstützung der Apotheke am Strauch in Hilden und dem zwei Hildener Hausärzten wurden bereits am ersten Tag 114 Bewohner und Mitarbeitende geimpft.

Inzwischen sind alle Mitarbeitenden wieder an Bord. „Keiner hat ernsthafte Schäden davongetragen, auch wenn der Krankheitsverlauf bei einigen völlig symptomlos, bei anderen aber auch mit schweren Symptomen verlief.“ Nikolaj Petrikevic ist sehr stolz auf sein Team: „Wir haben das hingekriegt, haben toll gekämpft. Jeder, der konnte, ist eingesprungen.“ Als die knapp vier Wochen währende Ausnahmesituation überstanden war, sei vielen erst bewusst geworden, was sie geleistet hatten. „Da fiel die Anspannung ab und wir haben gespürt, wie müde wir waren. Wir haben uns gefragt: Wie haben wir das durchgehalten? Das kann nur das Adrenalin gewesen sein.“

Das kann nur das Adrenalin gewesen sein.

Nikolaj Petrikevic

Bewohner sind aufgeblüht

Der Blick geht in die Zukunft: In den drei Senioreneinrichtungen im Dorotheenviertel Hilden wird nun drei Tage lang geimpft. Nach anfänglichem Zögern sei die Bereitschaft auch bei skeptischen Mitarbeitenden mit dem Näherrücken des Termins kontinuierlich gewachsen. „Keiner will so etwas wie im Dezember nochmal erleben.“ Seitens der Bewohnerinnen und Bewohner lägen fast alle Einwilligungsklärungen vor.

Wie wichtig es gerade für sie ist, Corona zu überwinden, habe auch die Zeit nach der Isolation gezeigt: „Die Bewohner sind aufgeblüht, als die Quarantäne vorbei war und alle sich wiedersehen durften. Es fehlte einfach der Kontakt zu Menschen. Und deshalb tun wir alles dafür, dass wir dieses Gefühl nicht wieder verlieren.“

Am Ende des Interviews geht es dem frisch geimpften Nikolaj Petrikevic nach wie vor gut. Am nächsten Tag um halb sechs wird er wieder im Dienst sein. Dann nimmt er die nächste Impfstoff-Lieferung entgegen. Dafür steht er gern noch früher auf als sonst. Damit es bald wieder von Dauer ist, dieses Gefühl von Nähe und Gemeinschaft.

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