Jungen Entdeckern ein Zuhause geben
Toussaint Botuli mag seine Arbeit als Springer bei der Graf Recke Erziehung & Bildung sehr – allein der Abwechslung wegen. Und dennoch wird der 37-Jährige ab dem Sommer sein Arbeitsfeld wechseln: Als stellvertretender Teamleiter des neuen Wohn- und Betreuungsangebots »NETZwerk« in Wittlaer kann der Sozialarbeiter und Pädagoge von Anfang an das Konzept mitgestalten und künftig langfristige Entwicklungen bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderung erleben. Mehr Zeit für die eigene Familie gibt es für ihn als Bonus.
Stillstand kennt Toussaint Botuli in seinem Leben nicht. Der 37-Jährige liebt die Abwechslung, er will sein Wissen mehren und sich stetig weiterentwickeln. Seine aktuelle Position passt demnach perfekt zu seinem Charakter, ist er doch als sogenannter Springer im Fachbereich III der Graf Recke Erziehung & Bildung im Einsatz – und somit fast täglich woanders. »Ich bin die Universal-Fernbedienung «, sagt er mit einem Lachen. Und doch wird der Diplom-Sozialarbeiter und -Pädagoge gewissermaßen sesshaft werden: Es wartet eine neue, äußerst reizvolle Aufgabe auf ihn.
»NETZwerk« heißt ein Wohn- und Betreuungsangebot der Graf Recke Erziehung & Bildung, der Jugendhilfe der Graf Recke Stiftung, das im Sommer 2021 in Düsseldorf-Wittlaer starten wird. In einem der beiden neu errichteten Gebäude am Johannes-Karsch-Weg werden zwei Wohngruppen entstehen, speziell ausgerichtet für Kinder und Jugendliche, die von FASD (Fetal Alcohol Spectrum Disorders) betroffen sind, einer Form von Behinderung, die durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft entstehen kann. Toussaint Botuli wird dann als stellvertretender Teamleiter im NETZwerk fungieren. »Es ist eine Herausforderung«, sagt er. »Aber eine, der ich mich gerne stelle.«
Noch ist das Team, mit dem er künftig arbeiten wird, nicht vollständig. Welche Aufgaben auf ihn und seine künftigen Kolleginnen und Kollegen zukommen werden, ist dagegen klar:
Toussaint Botuli
wechselt im Sommer ins NEZTwerk in Wittlaer.
Sabine Blitz, Leiterin des Fachbereichs, bezeichnet die Kinder und Jugendlichen als »Grenzgänger zwischen Lern- und geistiger Behinderung«. Die Anfragen nach Betreuung für diese Zielgruppe hätten in den letzten Jahren deutlich zugenommen, begründet sie das neue Angebot.
Die Betroffenen zeigten häufig massive Auffälligkeiten, was das Zusammenleben extrem erschwere, erklärt die zuständige Fachaufsicht Sandra Scherfenberg. So seien willkürliche Wutausbrüche bei den Betroffenen ebenso an der Tagesordnung wie Schwierigkeiten, Erlerntes zu behalten und umzusetzen. Hinzu komme der Drang, »ständig in Aktion zu sein, sie wollen alles erkunden und entdecken«. Ein Gespür für Gefahren entwickeln Kinder mit FASD dagegen kaum, sagt Sandra Scherfenberg. Aus diesem Grund wurde im NETZwerk ein Wohnumfeld geschaffen, das möglichst wenig Gefahrenpotenzial birgt. Das umzusetzen war nicht nur architektonisch anspruchsvoll – auch das Betreuerteam wird gefordert sein.
Auftrag der Nächstenliebe
Toussaint Botuli schreckt das nicht, im Gegenteil: Noch sei die Krankheit wenig erforscht, »ich möchte auch mehr wissenschaftliche Erkenntnis erwerben«, betont er. Erste Seminare unter der Leitung von Sandra Scherfenberg hätten bereits stattgefunden. Zudem habe er sich an der Fachhochschule Münster angemeldet, um nebenberuflich ein Hochschulzertifikat zum Thema FASD zu erlangen. Es ist zum einen sein ihm eigener Wissensdurst, der ihn dabei antreibt. Zum anderen sei es »ja in seinem eigenen Interesse, ein guter Mitarbeiter zu sein,« sagt Botuli.
Insbesondere aber will der gläubige Christ, der sich als Jugendleiter und Prediger im Bochumer Ableger der afrikanischen Kirchengemeinde MIRS engagiert, den jungen Menschen im NETZwerk »ein Zuhause geben«, wie er sagt. Toussaint Botuli, der 1994 als Kind aus der Demokratischen Republik Kongo nach Deutschland kam, sieht die neue Aufgabe »als Auftrag, Nächstenliebe zu zeigen, ganz im Sinne von Graf Recke«. Dafür ist er sogar bereit, seine jetzige Tätigkeit aufzugeben, auch wenn diese ihm viel Spaß macht.
Quer durch NRW
2015 hatte Toussaint Botuli als Honorarkraft in der Einzelbetreuung der Graf Recke Stiftung angefangen und parallel seine Diplomarbeit an der Universität Dortmund geschrieben. Direkt nach seinem Abschluss habe er dann einen unbefristeten Vertrag erhalten und sei seitdem als Springer »quer durch NRW unterwegs«. Es gab Zeiten, in denen er in einer Woche in vier verschiedenen Wohngruppen gearbeitet hat. »Aber ich genieße das«, versichert er.
Zum einen habe er von der Stiftungsverwaltung einen Dienstlaptop erhalten, wodurch er stets Zugang zu den aktuellen Dokumentationen in den Gruppen habe. »So kann ich mich gut vorbereiten und weiß auch, wie die Stimmung gerade ist«, erläutert er. Zum anderen freuen sich ohnehin immer alle, wenn er zur Unterstützung kommt. »Und die verstecken ihre Freude nicht«, erzählt Botuli mit einem Lachen. Und so hat er die Jahre als Springer vor allem als Bereicherung erlebt: »Es war eine gute Möglichkeit, die ganzen Systeme und Konzeptionen in der Stiftung kennenzulernen «, meint er.
Hier mache ich den Unterschied!
Pädagogische Fachkräfte fürs NETZwerk gesucht!
Als anstrengend hat Toussaint Botuli die Arbeit trotz der Fahrerei nie empfunden. »Aber müde bin ich manchmal schon«, bekennt er dann. Und so wird er auch privat von seiner beruflichen Veränderung profitieren, indem er bald mehr Zeit für die eigene Familie haben wird: Sein Sohn ist schon 19 und sehr selbstständig, aber seine beiden Töchter stehen mit acht und neun Jahren vor dem Wechsel in die weiterführende Schule. Dabei würde er sie gerne intensiver unterstützen, »Bildung ist in afrikanischen Familien Vatersache«, verrät er.
Entwicklung miterleben: Darauf freue ich mich besonders.
Von Anfang an
Dass auch er bald Neues lernen wird, passt da gut ins Bild – und entspricht ohnehin seinem Naturell. Es entstehe ein ganz neues Team, berichtet Toussaint Botuli: »Das finde ich sehr spannend.« Das grundsätzliche NETZwerk-Konzept habe ihm sehr gut gefallen. »Hier kann ich es von Anfang an mitgestalten«, betont er. Die Kinder mit FASD werden künftig im Erdgeschoss leben, die Jugendlichen im Stockwerk darüber; ganz oben im würfelförmigen Haus werden zudem zwei Apartments zur Verselbstständigung entstehen.
Und so wird der 37-Jährige erstmals in seinem Berufsleben wirklich langfristige Entwicklungen bei den Klienten miterleben können, möglicherweise vom Kind bis hin zum jungen Erwachsenen. »Darauf«, sagt er, »freue ich mich ganz besonders.«