In dunklen Stunden ein Licht

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Für Toni Scheibenberger kam nie etwas anderes infrage als eine Tätigkeit in der Pflege. Schon als 17-Jähriger schob er im Praktikum Seniorinnen und Senioren im Rollstuhl durch Berlin-Lichtenberg. Seit 2018 arbeitet der 32-Jährige im Seniorenzentrum Zum Königshof, mittlerweile als stellvertretender Wohnbereichsleiter. Er möchte den alten Menschen etwas wiedergeben – und profitiert doch von deren Weisheiten. Er sei mit den Jahren auch deshalb ruhiger und reifer geworden, sagt er. Auffallen tut er im Haus allerdings immer noch.

Dass Toni Scheibenberger Freude an seinem Job hat, steht außer Frage. Mehr noch: »Ich liebe diesen Beruf«, sagt er mit Überzeugung. Doch selbst das wäre für ihn als Voraussetzung für eine Tätigkeit in der Pflege nicht genug. Man müsse, sagt er, »eine gewisse Haltung mitbringen, um in diesem Beruf leben zu können. Er muss Berufung sein.« Er kann das auch begründen: In der Pflege gehe es im Wortsinne »um Leben und Tod«, sagt er. Um ganzheitlich pflegen zu können, müsse man »empathisch sein und echt«.

Gewichtige Worte eines gerade einmal 32-Jährigen sind das, und doch strahlt Toni Scheibenberger so gar nichts Verbissenes aus, im Gegenteil. Selbst jetzt, nach einer Frühschicht im Seniorenzentrum Zum Königshof in Düsseldorf-Unterrath, wirkt Scheibenberger entspannt und locker. »Keine Frage, es ist oft stressig«, meint er. Aber das sei jeder andere Beruf doch auch, wenn man ihn ernst nehme. »Ich weiß ja, was mich erwartet.«

 

Wie ernst es ihm mit seinem Plädoyer für den eigenen Berufsstand ist, kann man bei Toni Scheibenberger sogar an seinem Wohnort ablesen: Dieser liegt lediglich fünf Gehminuten vom Königshof entfernt. »Ich möchte da sein, wenn’s brennt«, begründet er diese Wahl. Sollte es beispielsweise kurzfristig Ausfälle im Team geben, wie in der Coronazeit nicht selten, sei er als stellvertretender Wohnbereichsleiter schnell da und könne die Personalfrage mit klären. »Oder im Zweifel auch mal selbst einspringen «, wie er sagt.

So viel Engagement zahlt sich aus: 2018 ist der examinierte Altenpfleger von der Spree an den Rhein gewechselt und hatte nach einem Dreivierteljahr bereits Leitungsverantwortung. »Das zeigt mir, dass die Stiftung was mit mir vorhat«, freut er sich. Keinen Moment hat er daher seinen Umzug bereut, auch wenn er ursprünglich der Liebe wegen von Berlin nach Düsseldorf zog. Die Beziehung hielt nicht, »aber ich habe mich mittlerweile in die Stadt verliebt«, gesteht er mit einem Lächeln. Die Rheinländer seien sehr nett, man stehe nirgendwo lange allein. »In Berlin macht dagegen jeder eher sein eigenes Ding.«

Und doch hat für ihn dort beruflich alles begonnen, bereits mit 17 Jahren direkt nach der Realschule. Als Praktikant in einem Altenheim habe er ältere Damen und Herren im Rollstuhl durch Lichtenberg geschoben, erzählt Toni Scheibenberger. Sein Berufsziel stand danach schnell fest: »Mir war bewusst, dass das die Menschen sind, die nach dem Krieg alles wieder aufgebaut haben«, sagt er. »Ich hatte schon damals den Wunsch, diesen Menschen etwas wiederzugeben.«

Die Geschichten hinter den Menschen

Von Anfang an sei er an ihren Biografien interessiert gewesen, an den Geschichten hinter den Menschen, sagt er. »Die Weisheiten, die sie mir mitgeben, haben mich so viel weitergebracht.« Ruhiger zu werden war so ein Ratschlag. Und in der Tat sei er früher »ein bisschen aufgedreht gewesen«, räumt Toni Scheibenberger ein. Er sei mit den Jahren erwachsener und reifer geworden, sei nicht mehr ganz so extrovertiert. Und auch, wenn er in jedem Raum wohl nach wie vor der Eitelste sei: »Ich brauche heute keine Stunde mehr im Bad.« Er lacht.

An der Einstellung zu seinem Beruf hat sich für den 32-Jährigen hingegen im Prinzip bis heute nichts geändert: Den älteren Menschen da abzuholen, wo er gerade steht, sei die Grundlage, sich die Zeit zu nehmen, ihm zu helfen und auch Feedback wahrzunehmen, der Kern seiner Arbeit. »Gemeinsam mit einem Lächeln aus einer Situation zu kommen, ist das erstrebenswerte Ziel«, formuliert es Scheibenberger. Nicht immer könne das gelingen, sicherlich, was für ihn aber weniger ein Personalproblem ist.

Schwierig wird es aus Sicht des Altenpflegers vielmehr, wenn ein Mensch multimorbid ist, also mehrere Krankheiten gleichzeitig auftreten, oder etwa durch eine Herzattacke komplett aus seinem gewohnten Leben herausgerissen wurde. »Wenn ich weiß, ich kann nichts für ihn tun, ihm nicht helfen.« So wichtig es sei, eine Beziehung aufzubauen, so notwendig sei in solchen Fällen die Abgrenzung, um die eigene Belastung im Rahmen zu halten, betont er. »Ich bin kein Angehöriger, das darf man nicht vergessen.« Schwierig sei das aber, wenn Menschen einsam seien »und auch alleine sterben werden«.

Was Toni Scheibenberger in solchen Momenten aufrecht hält, das ist »das beste Team der Welt«, als das er seine Kolleginnen und Kollegen im Wohnbereich 2 bezeichnet. Und eine gute Portion Humor. Das helfe, wirklich. Er versuche deshalb, immer einen kessen Spruch zu bringen, sagt der gebürtige Berliner. »Um für andere auch in einer dunklen Stunde ein Licht zu sein.« Kein Wunder, dass Julia Schneider, Leiterin des Sozialtherapeutischen Dienstes im Königshof, ihren Kollegen für einen Gewinn hält, »der im Haus von allen geliebt wird«.

»Das geht ja nie wieder weg«

Etwas Besonderes ist Toni Scheibenberger wohl allein aufgrund seines Äußeren, seine Tattoos sind kaum zu übersehen. »Im Prinzip ist mein ganzer Körper eine Baustelle«, verrät er mit einem Grinsen. Nur das Gesicht soll am Ende frei bleiben. Die Bewohner reagierten überwiegend positiv auf seinen Körperschmuck, so seine Erfahrung. »Das geht ja nie wieder weg«, sei die üblichste, verwunderte Reaktion. Irritiert reagierten zuweilen demenziell veränderte Bewohner, die tendenziell mehr in der Vergangenheit verhaftet seien, als Tätowierungen noch in anderen Milieus verbreitet waren »und eine andere Bedeutung hatten«.

Eben deshalb käme es Toni Scheibenberger, der in seiner Freizeit gerne Badminton spielt, die Natur genießt oder für Freunde und Familie kocht, nie in den Sinn, sich einen Totenkopf stechen zu lassen. Sein Hauptmotiv sind Vögel, die für ihn ein Symbol der Freiheit darstellen. »True Life« steht als Gegenpart auf seinen Fingerrücken. Denn das »wahre Leben« verliert der Altenpfleger, allen Träumen zum Trotz, eben nie aus dem Blick: »Ich bin jeden Tag mittendrin.«

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»Fokus Mensch – ohne Wenn und Aber« lautet das Jahresthema 2021/2023 in der Graf Recke Stiftung und ist auch der Schwerpunkt der dritten Ausgabe der recke:in in diesem Jahr, die im September erscheint. Dass der Mensch im Mittelpunkt steht, ist für ein diakonisches Unternehmen eigentlich eine Selbstverständlichkeit, was es aber für die »Mitarbeitenden vor Ort« und die Menschen, die von ihnen begleitet werden, bedeutet, erzählen Toni Scheibenberger und andere in der kommenden Ausgabe unseres Unternehmensmagazins.

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