Im Einsatz für ein gutes Leben

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Im Kinder- und Jugendrat der Graf Recke Stiftung legen sich derzeit knapp 20 junge Leute für ihre Interessen ins Zeug. Sie streiten für mehr Mitsprache in den Wohngruppen, für neue Bolzplätze oder besseres WLAN. Dakota, Fabian, Kim und Maurice tun das nicht nur für sich, sie wollen allen Kindern und Jugendlichen »das Leben leichter machen«, wie Maurice es formuliert. Fachaufsicht Christine Maletz und Jugendratsbegleiter Christian Fischer sind beeindruckt vom ehrenamtlichen Engagement, das nicht ohne Folgen bleibt.

Demokratie kann ganz schön anstrengend sein. Da gilt es, Argumente vorzubringen, Gegenpositionen anzuhören, Diskussionen zu führen und schließlich Mehrheiten zu finden. Doch all das lohnt sich, da sind sich Dakota, Fabian, Kim und Maurice einig. Die vier sind Mitglieder im Kinder- und Jugendrat der Graf Recke Stiftung. Ihre Mission: die Interessen von rund 400 jungen Menschen aus 65 Wohngruppen der Graf Recke Erziehung & Bildung zu vertreten. Es geht ihnen um Regeln im Alltag oder lahmes Internet, um fehlende Bolzplätze oder zu wenig Taschengeld. Und manchmal auch um Doppelzimmer.

Seit knapp zehn Jahren besteht der Kinder- und Jugendrat (KiJuRat) mittlerweile, angestoßen durch ein novelliertes Kinderschutzgesetz, das die Rechte der jungen Menschen in Einrichtungen der Jugendhilfe stärkte. Auch wenn das Thema in der Stiftung zuvor bereits eine wichtige Rolle spielte, seitdem seien Formen der Mitbestimmung schlicht »ein Muss«, betont Christine Maletz. Als Fachaufsicht ist die 38-Jährige gemeinsam mit ihrer Kollegin Maren Steffler für den damals gegründeten »Arbeitskreis Partizipation« zuständig, in dessen Nachgang sich, neben der Elternbeteiligung oder der Ombudsstelle, auch der Kinder- und Jugendrat gebildet hatte. Mitbestimmung, sagt Christine Maletz, wäre in den Gruppen sicher auch anders möglich. »Dass dies bei uns so aufgestellt wurde, übergreifend und mit solcher Wichtigkeit, das war eine bewusste Entscheidung der Stiftung.«   

Christian Fischer war von Anfang an dabei, zunächst im Arbeitskreis und später auch als Jugendratsbegleiter. Der Teamleiter einer Intensivgruppe kümmert sich gemeinsam mit seinem Kollegen Frank Matuschek als pädagogische Fachkraft mit einem gewissen Stundendeputat um Koordination und Veranstaltungsplanung, ist zugleich Ansprechpartner für die KiJuRat-Mitglieder. Viermal im Jahr treffen diese sich in der Regel, hinzu kommt ein Planungswochenende, wo die derzeit 11- bis 20-Jährigen die langfristigen Themen festlegen. »Für mich steht im Mittelpunkt, dass die Kinder und Jugendlichen demokratische Prozesse erlernen und erleben«, beschreibt der 35-Jährige seine Motivation, sich einzubringen. 

Jugendrat macht die Themen präsent

Was Kim hingegen vor einigen Jahren veranlasste, dem Rat beizutreten, daran erinnert sie sich genau. Jahrelang musste sich die heute 15-Jährige ein Zimmer in der Doki-Gruppe im Dorotheenviertel Hilden mit der gleichaltrigen Dakota teilen. »Wir wollten unsere Privatsphäre haben – und uns auch für andere einsetzen«, berichtet Kim. Ein Ziel haben sie zumindest erreicht, seit einiger Zeit kann Dakota nun im eigenen Zimmer in Ruhe telefonieren, »und ich muss mir den Gesang von Kim nicht mehr anhören«, erzählt sie. »Unserer Beziehung hat das in jedem Fall gutgetan«, ergänzt Kim. Gut möglich, dass es ohnehin so gekommen wäre, ist doch die gesamte Gruppe vor Kurzem in ein neues Haus umgezogen. »Aber das Thema wurde angesprochen und war dadurch präsent«, glaubt Christine Maletz.

Und es gibt ja noch einiges zu tun: »Ich wollte ein paar Sachen auf dem Campus ändern, das wäre außerhalb des Jugendrats schwerer möglich gewesen«, sagt Dakota. Sie bemängelt etwa die Freizeitangebote in Hilden. Reiten und Bogenschießen, wie es in ihrer Gruppe seit einiger Zeit angeboten wird, mehr fällt der Jugendlichen aktuell nicht ein. Christine Maletz pflichtet der 15-Jährigen grundsätzlich bei, erwähnt jedoch das Freizeitcafé und die gemeinsamen Feiern in der Aula. Ein Bolzplatz für das Gelände sei allerdings nach wie vor ein Thema, sagt sie. »Im Sommer ist es hier wunderschön, aber es ist einfach nichts los. Und die Busanbindung ist ein Trauerspiel.«

In Sachen Fahrplanausweitung allerdings tut sich was, nicht zuletzt auf Betreiben des Stiftungsvorstands bei der Stadt Hilden. Bei anderen Anliegen stößt der Kinder- und Jugendrat hingegen an seine Grenzen. Beim Taschen-, Essens- und Kleidergeld etwa, was Maurice umtreibt, deren Sätze aber gesetzlich festgelegt sind. »Ich bin Schüler, kann nicht nebenbei arbeiten, und das ist schwierig«, sagt der 20-Jährige, der in der Außenwohngruppe Huckingen lebt und seit gut einem halben Jahr im Gremium sitzt, inzwischen als einer von drei Sprechern. Sein Mitbewohner Fabian weiß davon ein Lied zu singen. Bei Schuhgröße 46, meint er, »geht schnell mal das Geld für eineinhalb Monate für ein einziges Paar Sneakers drauf«.

Und doch hoffen beide, dass sich Dinge durch ihren Einsatz verändern werden, veraltete Regeln zum Beispiel. »In meiner früheren Gruppe durfte man erst ab 16 ein Handy haben«, erzählt Maurice. Das habe sich zwar inzwischen geändert, in die Schule dürften die Jüngeren es dennoch nicht mitnehmen. »Es fehlt also auf dem Schulweg, dann kann man es auch sein lassen«, findet er. Fabian nickt zustimmend. Der 19-Jährige stört sich zudem daran, dass er nicht selbst entscheiden kann, wann er nach Hause kommt. »Ich versuche, daran etwas zu ändern, nicht nur für mich«, gibt er sich kämpferisch.

»Dann kann man es
auch sein lassen.«

Maurice (20) über das Handydilemma

»Es gibt immer die Möglichkeit, dass wir über den Rat Dinge anstoßen«, sagt Christian Fischer. »Unsere Kinder haben nur diese eine Kindheit.« Er stehe dann oft zwischen den Bedürfnissen der jungen Leute und den pädagogischen Anforderungen. »Die Gruppen haben unterschiedliche Konzepte“, macht er deutlich. Welches Alter haben die Bewohnerinnen und Bewohner? Welche biografischen Erfahrungen haben sie gemacht? Gibt es einen besonderen Schutzauftrag? »Innerhalb dieses Konstrukts macht es aber absolut Sinn, Dinge zu überprüfen«, meint der Pädagoge und richtet sich an die Gruppe: »Das wird durch euch angeregt«, sagt er dann.

Christine Maletz zollt den Jugendlichen für ihren Einsatz ebenfalls Respekt: »Die Jugendlichen haben alle einen superausgefüllten Alltag und investieren ihre Freizeit, das ist beeindruckend.« Der Fachtag im Herbst, bei dem die jungen Leute sich über Stunden an den Diskussionen beteiligt haben und bis zum Schluss blieben, »das war ein Aufwachmoment«, meint sie. Einiges sei bereits gut, aber es gebe noch Potenzial, das trage sie auch regelmäßig in die Gruppen. Gerade nach der Coronazeit, wo kaum ein Treffen möglich war und viele aus dem KiJuRat abgesprungen sind, freut sie sich als Fachaufsicht über das wieder wachsende Interesse. 

Mehr Mitsprache und besseres WLAN

Zu siebt sei man im KiJuRat zwischenzeitlich nur noch gewesen, berichtet Christian Fischer, »jetzt hat sich die Zahl fast verdreifacht«. Noch sind im Gremium ein paar Plätze frei, erst wenn die Gesamtzahl von 25 Mitgliedern überschritten würde, müsste gewählt werden. Bislang, sagt Fischer, sei das in zehn Jahren aber nicht notwendig geworden. Dakota und Kim würden sich über weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter jedenfalls ebenso freuen wie Fabian und Maurice. Um etwa für mehr Mitspracherechte in den Gruppen zu streiten, oder besseres WLAN. 

Für Maurice geht es gar um Grundsätzliches: Er will sich insbesondere der ganz Jungen annehmen, die frisch aus den Familien kommen, und ihnen Abläufe und Regeln erklären, »auch wenn sie diese nicht sofort verstehen“, sagt er. »Ich möchte ihnen das Leben leichter machen.« Notwendig ist das nicht nur aus seiner Sicht: Noch immer werde man von einigen damit aufgezogen, nicht in einer Familie groß geworden zu sein, so Fabians Erfahrung. Ihm sei es deshalb wichtig, »dass die Jungs und Mädels ein gutes Leben führen, ein normales Leben«. Dafür will er sich einsetzen – und ist sich selbst der beste Beweis: »Vom Problemschüler zum Abiturienten, das geht. Auch dank der Unterstützung von anderen.«

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