Gemeinschaft als Erfolgsrezept: die Tagespflege am Röttchen in Unterrath

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Drei Mal in der Woche verbringt die 86-jährige Irmgard Straßburger ihre Tage gemeinsam mit anderen Seniorinnen und Senioren, es wird geturnt, gebastelt oder auch gesungen. Seit 2018 bietet die Graf Recke Stiftung die Tagespflege am Röttchen in Düsseldorf-Unterrath an: für die Gäste ein inspirierendes Programm, für die Angehörigen eine wichtige Entlastung.

Es ist gut zwei Jahre her, da hatte Irmgard Straßburger fast ihre gesamte Lebensfreude verloren. Die Jahre davor, ohne ihren verstorbenen Mann, waren schon schwer genug, doch dann kam dieser fatale Treppensturz noch dazu. »Da hat mein Hirn etwas gelitten. Ich hatte so ein Hörnchen«, sagt sie und zeigt auf ihren Kopf. Dass die 86-Jährige dies jetzt mit einem Schmunzeln tun kann, hat viel mit einem Entschluss zu tun, den sie damals gemeinsam mit ihren drei Söhnen gefällt hat: Statt nach dem Unfall ins betreue Wohnen umzuziehen, besucht Irmgard Straßburger nun drei Mal in der Woche die Tagespflege im Quartiershaus am Röttchen. »Die Entscheidung war richtig.«

Immer dienstags, donnerstags und freitags verbringt Irmgard Straßburger nun ihre Tage in der Einrichtung der Graf Recke Stiftung in Düsseldorf-Unterrath, in Gemeinschaft mit bis zu 17 weiteren Seniorinnen und Senioren, die allesamt über eine Pflegestufe verfügen, wie Indira Rychwalski erklärt. Sie ist die Leiterin der Tagespflege, sechs Fachkolleginnen gehören zu ihrem Team. Manche der Gäste kommen täglich, andere nur ein oder zwei Mal die Woche; manche kommen per Fahrdienst, andere werden von ihren Angehörigen auf dem Weg zur Arbeit gebracht. Was sie jedoch eint: Im Quartiershaus wird in der Regel alles gemeinsam gemacht, vom Frühstück bis zum Abschiedslied.

Kreativ in der Tagespflege

Irmgard Straßburger gefällt das. »Ich bin überall dabei«, sagt sie fröhlich. Bei den Kreativangeboten, beim Malen, Basteln oder Singen, ist die Seniorin ebenso aktiv wie in der Zeitungsrunde oder beim regelmäßigen Bingospiel. Mit ihrer Offenheit nehme sie auch die anderen mit, freut sich Einrichtungsleiterin Rychwalski. Sie sei froh, wenn sie helfen könne, sagt Irmgard Straßburger und strahlt, wie sie das wieder häufig tut. Am Anfang wäre daran nicht zu denken gewesen.

Am Anfang, nach dem Sturz, ging es Irmgard Straßburger nicht gut, Indira Rychwalski spricht von »einer depressiven Verstimmung«. Schlimm sei das gewesen, sie habe alles vergessen damals, Namen zum Beispiel oder wo sie Dinge hingelegt habe, erzählt die alte Dame. Wie hätte sie so alleine leben und ihren Haushalt führen sollen? Ihre Söhne, die sie zwar regelmäßig besuchen, »einer am Montag, einer am Mittwoch, und einer bringt am Sonntag frische Brötchen mit«, dachten über besagten Umzug ins betreute Wohnen nach. Zur ihrer eigenen Sicherheit. Doch zum Glück habe es da ihre gute Freundin Michaela gegeben, der sie vor Jahren auch einmal geholfen habe. »Die hat gesagt: Ich kümmere mich um die Irmgard.«

Gesagt, getan: Die beiden Frauen gehen nun wöchentlich zusammen einkaufen, Michaela bringe dann immer die Sachen rauf, berichtet Irmgard Straßburger. Ihre Freundin kümmere sich auch um alles andere, vom Friseurbesuch bis zum Arzttermin. Alle 14 Tage komme »ihre gute Fee« und versorge den Haushalt. »Ach«, sagt die 86-Jährige dann. »Es war so wichtig für mich, in meiner Wohnung bleiben zu können.« Dass es ihr heute wieder so viel besser geht, hat vor allem damit zu tun. Aber auch mit ihren Besuchen in der Tagespflege. Wenngleich ihr das am Anfang nicht ganz leichtgefallen sei, wie sie einräumt.

Tagespflege in Unterrath: »Hier wird man genommen, wie man ist.«

Indira Rychwalski kennt das. Erst mal falle es vielen schwer, meint die Einrichtungsleiterin. »Die neue Umgebung, die unbekannten Leute, das führt häufig zu einer Abwehrhaltung.« Ganz gleich, ob die Menschen mit Demenz, einer Depression oder nach einem Schlaganfall den Weg zur Tagespflege finden. Sei die Integrationsphase aber vorüber, wollten viele oft sogar häufiger kommen. Das hat seinen Grund: Man fordere die Senioren im positiven Sinn, in der Bewegung, der Kommunikation, dem allgemeinen Sozialverhalten. »Durch unser Gedächtnistraining werden zuweilen Dinge geweckt, die schon eingeschlafen waren«, betont Rychwalski. »Man ist oft überrascht, was die Menschen wieder alles können, an was sie sich erinnern. Erst neulich hat mir eine 93-Jährige die Geschichte des Tangos erklärt.«

Es sind Erlebnisse wie diese, die für Indira Rychwalski und ihr Team die Arbeit so wertvoll machen. Schwierig sei es allenfalls durch Corona geworden, als sich so mancher »in seinem Alleinsein eingerichtet hatte«. Dabei sei gerade die Gemeinschaft das Erfolgsrezept, sagt sie. »Wir haben Rituale entwickelt, das gemeinsame Frühstück, das Beten vor und nach dem Mittagessen, das Lied zum Abschied am Nachmittag. « Und so gingen die Menschen in der Regel »erschöpft und zufrieden« nach Hause. In ihr eigenes Zuhause, wie das auch Irmgard Straßburger so wichtig ist.

Tagespflege für Angehörige »eine Wohltat«

Für Indira Rychwalski, seit dem Start im Sommer 2018 mit an Bord, hat sich längst bewahrheitet, »dass wir eine große Entlastung sein können, für beide Seiten«. Die andere Seite, das sind die Angehörigen, die laut der Expertin bei der Pflege eines Elternteils oder Partners zuvor oft die Grenzen ihrer Belastbarkeit erreicht hatten – oder gar überschritten.

Das hat auch Brigitte Stukenbrock einst so empfunden, bevor sie ihre an Demenz erkrankte Mutter 2018 in die Tagespflege am Röttchen gab, zunächst für drei, später dann für fünf Tage in der Woche. »Davor waren wir quasi 24 Stunden im Einsatz, da war die Tagespflege eine Wohltat «, bekennt die medizinische Fachangestellte. Und doch kennt auch die 57-Jährige das schlechte Gewissen, das einen ereilen kann bei dem Gefühl, gerade Vater oder Mutter abzuschieben. Zu Unrecht, wie sie glaubt, weshalb sie andere in dieser Lage unterstützen möchte.

Als Vertrauensperson der Tagespflege am Röttchen steht Brigitte Stukenbrock bereit für alle Angehörigen, die Fragen haben. Insbesondere möchte sie diese in ihrer Entscheidung »und darin, dass die Fachkräfte es gut machen« bestärken. Es gehe um Wertschätzung von beiden Seiten, und dieses Gefühl habe sie in der Tagespflege am Röttchen immer gehabt. Ihre Mutter etwa habe schnell eine starke Anbindung empfunden, die Tagespflege als eine Art Arbeitsstelle angesehen. »Sie war ausgeglichener und ich auch«, sagt Brigitte Stukenbrock. Am Wochenende habe ihre Mutter dann immer gefragt, wann sie denn wieder zu ihren Leuten dürfe.

Seit rund zwei Jahren lebt ihre inzwischen 84-jährige Mutter im benachbarten Seniorenzentrum »Zum Königshof « der Graf Recke Stiftung, dennoch fungiert Brigitte Stukenbrock weiterhin als Vertrauensperson am Röttchen. »Ich durfte so viel lernen, es war immer jemand vom Team da, der zugehört hat«, erklärt sie ihr Engagement. Es sei ihr »ein Herzensbedürfnis, davon etwas weiterzugeben«. Es bereichere sie ja auch selbst.

Irmgard Straßburger fühlt sich ebenfalls bereichert, nicht nur durch die vielen Bastelarbeiten, die inzwischen die Wand hinter der heimischen Eckbank zieren. Sie fühle sich fitter als früher, was sicher mit an der Bewegungsrunde liege, versichert die 86-Jährige. Und die Mitarbeiterinnen seien klasse. »Hier wird man genommen, wie man ist«, lobt sie. Keine Frage, ihre Lebensfreude ist zurück. Und so ist es für Irmgard Straßburger gar keine Frage, dass sie auch künftig zur Tagespflege kommen wird, immer dienstags, donnerstags und freitags.

Kontakt zur Tagespflege

Indira Rychwalski

Leitung Tagespflege
Quartiershaus Am Röttchen

Am Röttchen 3
40468 Düsseldorf

Tel.:+49 211 4055 4780Fax:+49 211 4055 4782

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