Digital und auf Distanz
Als Führungskraft in Konfliktsituationen professionell handeln – eine Herausforderung. Mehr denn je in Coronazeiten, wenn das Team möglicherweise viel weniger nah beisammen ist als sonst. Dann geht es um "Führen auf Distanz und Konfliktmanagement". So lautet der Titel eines Seminars, das die Graf Recke Stiftung anbietet – online, also auch auf Distanz. Darin nahmen generelle Fragen zur Führung den weitaus breiteren Raum ein als die speziellen Anforderungen, wenn Führung verstärkt per Telefon, Mail und Videokonferenz stattfinden muss. Mit gutem Grund, zeigt dieser Teilnehmerbericht: Denn eigentlich gelten hier fast die gleichen Regeln wie auch sonst. Und doch ist alles anders.
Eine bunte Runde findet sich an diesem Morgen online zusammen, zwei Leitende aus der Verwaltung, eine Projektleiterin, eine Leiterin einer Pflegeeinrichtung und eine Kitaleiterin. Ebenfalls sehr bunt sind die Erfahrungen mit Videokonferenzen, welche die Teilnehmenden mitbringen. Deshalb gibt Seminarleiter Erwin Teichmann von "miteinander reden" erst einmal ein paar Hinweise: "Für ein persönliches und freundliches Miteinander: Kamera einschalten. Wer nicht spricht: Mikrofon stummschalten." Klappt nicht immer und bei allen, und auch die Technik spielt zeitweise nicht mit: Eine Teilnehmerin verschwindet mehrfach unfreiwillig aus dem virtuellen Raum und muss sich immer wieder mühsam einwählen. Anforderungen und Probleme, die in Coronazeiten für viele Alltag geworden sind.
Hand, Quadrat und Regenbogen
Was aber bedeutet diese Art des Austauschs für die Zusammenarbeit im Team und: Was bedeutet er vor allem auch für Führungskräfte, die ihre Teams leiten und immer auch wieder durch Konfliktsituationen führen müssen? Erwin Teichmann will von den Teilnehmenden erst einmal wissen, wie sie Führung verstehen. Da entsteht das Bild einer Hand, die nah bei der Führenden ist und damit sowohl die Richtung weisen als auch unterstützen und begleiten kann. Andere wählen ein Quadrat, in dessen Mitte ein Ziel steht, oder einen Regenbogen, der Aufmerksamkeit und Orientierung schafft – oder auch das Logo der Graf Recke Stiftung, in der drei Figuren nah beieinanderstehen, Schulter an Schulter, und eine der Figuren zwar im Hintergrund, aber etwas über den anderen steht, als Primus inter pares sozusagen, Erster unter Gleichen.
Das Format des Online-Seminars: Eine Mischung aus Vortrag, Diskussion und kleinen Einzelübungen, für die das Online-Meeting unterbrochen wird. Die Runde ist klein genug, um auf technische Möglichkeiten wie "Breakout-Sessions", bei der die Gruppe virtuell aufgeteilt wird, zu verzichten.
"Führen auf Distanz und Konfliktmanagement": Das Seminar findet erstmals statt. Der Lerneffekt liegt nicht nur bei den Teilnehmenden, sondern auch beim Dozenten. Der Weiterbildungsbedarf hat sich durch die Coronapandemie verändert. Der Dozent beginnt bei den Grundlagen von Führungsaufgaben: "Delegieren, koordinieren, organisieren. Informieren: Was ist zur Zielerreichung notwendig? Motivieren – nicht manipulieren! Beurteilen und kontrollieren. Und natürlich: Personalauswahl." Frage an die Teilnehmenden: "An welchen Führungskräften orientieren wir uns?" Einige Antworten: "Die, die uns motivieren statt kontrollieren, die Vertrauen in uns setzen und unsere Stärken stärken." "Die, die klar, nachvollziehbar formulieren, die Interesse an meiner Entwicklung haben und Anerkennung und Lob aussprechen." "Die, die kontroverse Diskussionen schätzen und kritische Fragen als Interesse und Engagement werten, die uns fragen, was man an der Zusammenarbeit verbessern kann."
Erwin Teichmann
ist Berater bei "miteinander reden".
Wünschenswerte Eigenschaften, keine Frage, aber Dozent Teichmann betont auch: "Eine Führungsrolle hat mit Autorität zu tun. Das klingt furchtbar streng, aber sie ist notwendig, um führen zu können." Auch wer sich als Erster unter Gleichen verstünde, sei eben vor allem auch Erster und Verantwortlicher. Dabei geht es laut Teichmann nicht nur um die Autorität von oben, sondern auch von unten – die Akzeptanz der zugeordneten Mitarbeitenden – und sogar von innen: "Will ich führen? Was ist meine Vorstellung davon? Inwieweit kann ich dann noch Teammitglied sein oder stehe ich allein? Will ich auch Entscheidungen gegen Widerstand treffen?"
Führungskräfte sind Menschen
Ob Führungsstil (von autoritär bis laissez-faire), die Frage der Stressbewältigung, die Steuerung des Teams oder Gruppendynamik und die Feststellung: Führungskräfte sind Menschen, die nicht perfekt sein müssen und können – das Onlineseminar wird zum rasanten Ritt durch die Grundlage von Führung, begleitet vom "Mantra", so nennt es der Dozent: "Führung ist individuell, Führung ist situativ, sie hat mit Haltung zu tun und mit Authentizität: Jede Handlung ist ein Beispiel für die Werte, Einklang von Werten, Tun und Sein."
Und das gilt in der analogen ebenso wie in der virtuellen Welt. Aus dem englischen virtual abgeleitet könne man es mit "fast wie" übersetzen, sagt Erwin Teichmann – und das klingt nach nur "fast so gut". Natürlich haben virtuelle Teams Vorteile, sie sind reaktionsschneller, erlauben kurzfristige Zusammenstellungen nach Kompetenzen, sparen Zeit und Ressourcen und verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Andererseits ist der Organisationsaufwand hoch, die Abhängigkeit von der Technik ebenso, Leistung kann schlechter bewertet werden und die Kehrseite kann auch ein Rollenkonflikt zwischen Arbeit und Privat sein. Vor allem aber, so Teichmann, sei der Vertrauensaufbau schwer und die Konfliktanfälligkeit hoch.
Das Fortbildungsprogramm 2021 der Graf Recke Stiftung findet sich auf der Stiftungshomepage.
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Infos zu "miteinander reden" gibt es auf der Homepage des Unternehmens.
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Hierzu bietet der Dozent am Ende des Seminars einige Schlüsselfaktoren, um den entgegenzuwirken: "Vermeiden Sie sternförmige Kommunikation und schaffen Sie Verbindungen, ermöglichen Sie aber auch regelmäßige One-to-One-Gespräche. Gestalten Sie Offlinezonen und geben Sie auch Privatem und kulturellen Fragestellungen Raum. Achten Sie auf das Wohlergehen des Teams, hören Sie genau hin und fragen Sie nach."
Also doch alles wie im Analogen, also hier im Sinne der physischen, nicht digital vermittelten Präsenz? "Die Aufgabe der Führungskraft ändert sich auch auf Distanz nicht", sagt Erwin Teichmann. "Und Führungsverhalten ist generell die Voraussetzung für Konfliktmanagement." Die Kommunikationswege seien freilich andere, und der Anspruch an die Führungskraft sei bei digital vermittelter Kommunikation und Konfliktmanagement, wenn nicht höher, so doch anders. Und genau hier sehen die Teilnehmenden am Ende des Onlineseminars noch einiges, das sie lernen möchten.
"Digitale Lernformate sind aus der Arbeitswelt 4.0 nicht mehr wegzudenken", sagt Melanie Klees vom Team Personalentwicklung der Graf Recke Stiftung. "Natürlich spielten schon vor Corona E-Learning, Virtuelle Klassenzimmer und die Vermittlung vom Umgang mit der digitalen Technik eine große Rolle." Die Bereitschaft der Mitarbeitenden sei aber in der Pandemie ungleich höher, so Klees: "Es bleibt uns ja auch nichts anderes übrig!" Mit dem neuen Online-Seminar werde nun direkt auf eine neue Herausforderung für Führungskräfte eingegangen, betont Melanie Klees. Zum ersten Seminar "Führen auf Distanz" habe sie schon wertvolles Feedback erhalten und dies werde in die weiteren Konzeptionen einfließen. Denn mit oder ohne Corona: "Unsere bereits vorhandenen Onlineseminare werden weiter ausgebaut und auch im kommenden Jahr einen großen Anteil der Fortbildungen ausmachen."