Die Normalität der Vielfalt
Seit zehn Jahren wohnen Menschen mit einer geistigen Behinderung in der Wohngemeinschaft BeWo Heiligenhaus. Unterstützt von einem multiprofessionellen Team der Graf Recke Stiftung ist ihnen dort ein weitgehend selbstbestimmtes Leben möglich. Zum Jubiläum gab es nun ein großes Fest, alle halfen bei der Vorbereitung – und rund hundert Gäste kamen.
Es ist eine ganz besondere WG – und es war ein ganz besonderes Fest. Seit 2014 existiert die Wohngemeinschaft BeWo Heiligenhaus der Graf Recke Stiftung, in der Menschen mit einer geistigen Behinderung weitgehend selbstbestimmt leben, betreut von einem multiprofessionellen Team der Graf Recke Erziehung & Bildung. Es ist zugleich eine Erfolgsgeschichte auf mehreren Ebenen, und das musste zum zehnten Geburtstag gebührend gefeiert werden. Eingeladen hatten die Bewohnerinnen und Bewohner all diejenigen, die ihnen am Herzen liegen. Und alle waren gekommen: Freunde und Familie, Nachbarn und Kollegen. Rund hundert Menschen feierten schließlich mit.
„Es war ein wunderbares Fest, mit guten Gesprächen und einer tollen Atmosphäre“, schwärmt Annette Ronsdorf noch Tage später. Die Erzieherin ist Teamleiterin in Heiligenhaus im Kreis Mettmann, begleitet die WG seit 2016 mit ihrem aktuell zehnköpfigen Team. Gastgeber beim Jubiläumsfest allerdings waren die acht Klientinnen und Klienten selbst, das ist ihr wichtig. Hinzu kam eine ehemalige Bewohnerin, die mittlerweile mit ihrem Ehemann in einer eigenen Wohnung lebt, aber weiter unterstützt wird. Gemeinsam hätten die Klienten die Feier mit einem kleinen Tanz und einer kurzen Rede eröffnet und „auch ein bisschen aus der Geschichte des BeWo erzählt“, berichtet Annette Ronsdorf.
BeWo, das steht für Betreutes Wohnen, die WG ist eine so genannte „anbieterverantwortete Wohngemeinschaft“. Will heißen: Das Haus mit großem Garten wurde von der Graf Recke Stiftung angemietet und wird seitdem an die mittlerweile acht dort lebenden jungen Menschen mit Unterstützungsbedarf weitervermietet. Das Besondere: Seit 2016 kooperieren die beiden Geschäftsbereiche der Graf Recke Stiftung Erziehung & Bildung sowie Wohnen & Pflege. Sie bieten in Heiligenhaus ein Konzept der Betreuung aus einer Hand. Ein wichtiger Faktor sei zudem die vorhandene Übernachtbetreuung, sagt Annette Ronsdorf.
Ein besonderes Modell
„Es ist ein besonderes Modell“, verdeutlicht die Teamleiterin. „Menschen, die hohe Betreuungsbedarfe haben, wird so ein weitgehend selbstständiges Leben ermöglicht.“ Und das für die meisten bereits seit zehn Jahren, sind sie doch von Anfang an dabei. Sie hatten 2014 überwiegend als junge Erwachsene den Schritt gewagt, aus dem Elternhaus aus- und in die Wohngemeinschaft einzuziehen. Ein mutiger, aber lohnender Schritt, wie Annette Ronsdorf es erlebt hat: „Die Klienten verbinden mit der Lebensphase in der WG, neben einer Verbesserung der Selbstständigkeit, der Abnabelung vom Elternhaus und einem Plus an Selbstbestimmung, vor allem auch viele gemeinsame Erlebnisse“, sagt sie.
In der Tat haben die Bewohner, die überwiegend in den WfB-Werkstätten Velbert beschäftigt sind, im vergangenen Jahrzehnt so einiges von der Welt gesehen. Urlaubsfahrten an die Ostsee oder ins Emsland gehörten laut der Teamleiterin genauso dazu wie Ausflüge ins Phantasialand, auf einen Reiterhof oder zur Rheinkirmes; sie haben Lübeck, Hamburg und Rostock erkundet, dazu Rügen, Fehmarn und Texel. Auch diverse Konzert- und Musicalbesuche standen auf dem WG-Programm, unter anderem bei der Kelly-Family, den Bläck Fööss und bei Starlight-Express. Regelmäßige Ausflüge mit den Angehörigen, etwa in den Grugapark Essen, sind ebenfalls nicht mehr wegzudenken.
Zum Jubiläum allerdings lud die WG nun die Welt zu sich ein: Unterstützt vom Team haben die Bewohner, ganz im Sinne des Konzepts, bei den Vorbereitungen tatkräftig geholfen, etwa beim Aufbau und beim Blumenschmuck, sie haben Kuchen gebacken und Salate zubereitet. Und, wie gewohnt, sei „großzügig gegrillt worden“, wie Annette Ronsdorf mit einem Lachen erzählt. Dass man sehr gut in die Nachbarschaft eingebunden sei, habe man an diesem Nachmittag einmal mehr gespürt, freut sie sich. Doch man tue auch etwas dafür. „Wir beteiligen uns beispielsweise immer wieder an kommunalen Aktionen.“ Längst ist die Wohngemeinschaft BeWo Heiligenhaus also ein selbstverständlicher Teil der Stadt.
Wir beteiligen uns immer wieder an kommunalen Aktionen.
Sehr gerne würde man das erfolgreiche Konzept ausweiten, an anderer Stelle eine weitere WG für Menschen mit Teilhabe-Einschränkungen eröffnen, meint Annette Ronsdorf. Was fehlt, das ist eine geeignete Immobilie, groß genug und dennoch bezahlbar. „Wir finden keine“, bedauert sie. Der Bedarf sei zweifellos gegeben, „wir haben eine lange Warteliste“.
Dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern könnte, damit ist kaum zu rechnen. Seien die Klienten bei Familienbesuchen in der Anfangszeit noch „nach Hause“ gefahren, wie sie es ausdrückten, fahren sie jetzt in der Regel „zu den Eltern“. Zuhause, betont die Teamleiterin, fühlten sie sich inzwischen in der Wohngemeinschaft.