Den Wald mit neuen Augen sehen
Einmal im Monat macht sich eine Gruppe Interessierter auf zum Waldspaziergang. Doch es geht nicht nur ums Spazierengehen und frische Luft schnappen: Ein Waldpädagoge richtet alle Sinne der Teilnehmenden auf vieles, das ihnen sonst wohl verborgen geblieben wäre. Organisiert werden die Waldspaziergänge vom Sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ) der Graf Recke Stiftung, teilnehmen kann, wer möchte. So auch unser Autor, der mit einer kleinen Gruppe dem launischen Aprilwetter trotzte.
Kaum hundert Meter gegangen, steht die heute sehr kleine Wandergruppe schon wieder. Der Verkehr auf der Grafenberger Allee rollt an diesem kalten ersten Freitag im April an den wenigen dort wachsenden Pflanzen vorbei. Doch sie erhalten die volle Aufmerksamkeit von Gabor Kiss: "Was fällt Euch daran auf?", fragt der Waldpädagoge mit Blick auf eine Pflanze mit dem schönen Namen "Goldglöckchen", während die Gruppe kurz einem Radfahrer Platz machen muss. "Die Stengel sind innen hohl", erklärt er. "Das macht die Pflanze besonders stabil. So knickt sie bei Wind nicht so schnell um. Das ist so ähnlich wie beim Bambus, der in Asien für den Gerüstbau verwendet wird."
Autos, Asien, Gerüstbau – sollte es nicht um einen Waldspaziergang gehen? Es scheint immer etwas Interessantes im ganz Alltäglichen zu geben, wenn man mit den Augen des Pflanzenkenners durch die Welt geht. Und nur wenige Minuten später steht die kleine Gruppe tatsächlich bereits am Eingang zum Grafenberger Wald. Wer mag, kaut hier nach Anleitung von Gabor Kiss auf den dunkelvioletten Blättchen des Sauerdorns herum, die er an der Hecke eines Wohnhauses entdeckt hat. Teilnehmer Claus schaut etwas skeptisch, und der leicht säuerliche Geschmack des Blättchens ist nicht die einzige kleine Überraschung heute. Hans-Georg bemerkt, dass "die Stimmung gleich ruhiger ist, so ein bisschen ab von der Hauptstraße".
Claus und er folgen der Einladung zum monatlichen Waldspaziergang gern, auch wenn heute vereinzelt ein paar Schneeflocken durch die Luft wirbeln. Die beiden nehmen schon länger Angebote des Sozialpsychiatrischen Zentrums (SPZ) in Düsseldorf-Flingern wahr. Das dazugehörige Café Geistesblitz der Graf Recke Stiftung ist jeweils Ausgangs- und Schlusspunkt für die Spaziergänge, die "allen Interessierten offen stehen", wie Sabine Henne vom SPZ betont.
Gabor Kiss, der die Waldspaziergänge leitet, hat Landschaftsbau gelernt und im Anschluss daran Landschaftspflege studiert. Die Ausbildung zum Waldpädagogen hat er über viele Jahre von Franz Schnurbusch erhalten, dem 2019 verstorbenen Umweltpreisträger der Stadt Düsseldorf und Innovator auf dem Gebiet der Waldpädagogik. "Von Schnurbusch, der selbst einen pädagogischen Hintergrund hatte, habe ich sehr viel gelernt", erinnert sich Kiss an die gemeinsame Zeit. Auch Falkner und Jäger ist er, kann also auf einen breiten Erfahrungsschatz mit Tieren und Pflanzen zurückgreifen.
Dass er von montags bis donnerstags mit Grundschulkindern aus Offenen Ganztagsschulen in Düsseldorf und Krefeld arbeitet, lässt der Fachmann im Grünen immer wieder in seine kleinen Erzählungen einfließen. Die Freude über diese Arbeit ist ihm anzusehen, etwa wenn er auch seinen erwachsenen Gästen vom "Strichmännchenbaum" erzählt und davon, wie er den Kindern den Wald näher bringt. Dabei schneidet er mit viel Spaß auch mal Fratzen, zum Beispiel beim Auspressen des Laabklebkrauts, dessen Saft er sich direkt aus der Faust in den Mund fließen lässt.
Lerneffekt und Unterhaltungswert der Veranstaltung sind dem in der Natur verwurzelten Mann genauso wichtig wie das Gefühl der Entspannung. "Man muss nicht die ganze Zeit reden. Jeder, der im Wald unterwegs ist, merkt, was für ein besonderer Ort das ist." Und: "Immer schön langsam. Wir machen das hier ganz in Ruhe", sagt Kiss zwischendurch. Während die kleine Gruppe in gemäßigtem Tempo die Grafenberger Höhe erklimmt, weist er auf kleine Besonderheiten abseits des Weges hin und beantwortet geduldig Fragen der Teilnehmer zu Blüten, Baumrinden und allem, was man im Wald sehen, hören und riechen kann.
Schon fast am Ende angekommen hat jeder mindestens einmal den Mut gefasst hat, den Wald auch zu schmecken. Teilnehmer Hans-Georg sinniert: "Ich bin noch nie durch den Wald gegangen und hab mir was zu essen gepflückt!"
Noch besser schmeckt höchstens der Kaffee im Café Geistesblitz, wohin die Gruppe am Ende des Waldspaziergangs nach knapp zwei Stunden mit der Straßenbahn wieder zurückgekehrt ist. Hans-Georg und Claus wollen auch im Mai wieder dabei sein, denn Waldpädagoge Kiss hat schon in Aussicht gestellt: "Der Wald verändert sich über das ganze Jahr. Es gibt immer etwas anderes zu entdecken."
An der Grafenberger Allee 345 in Düsseldorf befindet sich das Sozialpsychiatrische Zentrum (SPZ). Hier finden Sie unsere Kontakt- und Beratungsstelle, die Tagesstätte und das Café Geistesblitz. In der Kontakt- und Beratungsstelle treffen sich Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, um sich etwa auszutauschen und sich über Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Auch Angehörige und Bezugspersonen sind hier herzlich willkommen. Der Waldspaziergang findet jeweils am ersten Freitag des Monats um 13 Uhr statt. Alle Interessierten sind herzlich willkommen.