Corona: „Ich hatte Angst, wir könnten sterben“

Özlem Kaya erkrankte im Frühjahr am Coronavirus. Und nicht nur sie: Ihre ganze Familie wurde wochenlang durch das neuartige Virus niedergestreckt. Die Sozialarbeiterin, die im Sozialpsychiatrischen Verbund arbeitet, empfand diese Zeit als lebensbedrohlich. Heute hat die 35-Jährige einen ganz anderen Blick auf die Pandemie – und sie warnt eindringlich all jene, die das Virus für harmlos halten.

Als meine Mutter krank wurde, haben wir erst überhaupt nicht an das Virus gedacht. Was wir darüber wussten war, dass es mit hohem Fieber und trockenen Husten einhergeht, aber das hatte meine Mutter nicht. Und als ich zwei Tage später Gliederschmerzen bekam, habe ich das zunächst auf einen Muskelkater geschoben, weil ich kurz vorher joggen war. Ich hatte keinen Husten und kein Fieber, habe mich ausgeruht und es wurde besser. Aber am vierten Tag ging es dann bergab: Ich kam nicht mehr aus dem Bett, war richtig krank. Einen Tag später wurden wir getestet: Meine Mutter, mein Vater, meine jüngere Schwester, mein jüngerer Bruder und ich, wir alle waren infiziert. Das passierte alles in weniger als einer Woche.

Ich war noch im Dienst, als es abends bei mir anfing. Zum Glück bin ich danach nicht mehr arbeiten gegangen. Im weiteren Verlauf bekam ich dann alle möglichen Symptome: Zu den starken Gliederschmerzen kamen Kreislaufprobleme, Bauschmerzen, auch der Geschmacks- und Geruchssinn ging nach zwei Tagen verloren. Ich hatte gar keine Kraft mehr für irgendwas. Ich kam zuhause kaum mehr die Treppe hoch, musste mich zwischendurch hinsetzen, damit ich es überhaupt in mein Zimmer schaffte. Das hat mich komplett aus der Bahn geworfen. Ich konnte nicht duschen, mich nicht umziehen. Mein Bruder wurde stationär behandelt, weil er tagelang sehr hohes Fieber hatte, das ging gar nicht runter und es kam noch eine Lungenentzündung hinzu. Meine Mutter ist in der Nacht einmal bewusstlos geworden, sie lag auf der Intensivstation. Mein Vater war insgesamt sechs Wochen krank. Am besten hat es meine jüngste Schwester verpackt: vier Tage mit Fieber im Bett, innerhalb von fünf bis sechs Tagen war es bei ihr aber wieder gut.

„Wir waren krank zuhause, keiner konnte uns richtig helfen“

Ich habe diese Wochen als lebensbedrohlich empfunden. Wir waren krank zuhause, keiner konnte uns richtig helfen. Ich hatte Angst um meine Familie, habe gedacht, wir könnten sterben. Es gibt ja kein richtiges Medikament dagegen.

Ob ich das Virus vorher unterschätzt habe? Definitiv! Ich hätte nicht gedacht, dass es so starke Auswirkungen haben kann. Ich war früher fast nie krank, aber dieses Virus hat mich körperlich sehr erschöpft. Ich bin ja jetzt schon länger wieder fit, aber nicht hundertprozentig, nicht wie vorher. Ich merke, dass mich schon Kleinigkeiten umhauen. Es gibt immer noch Nachwirkungen mit Magenschmerzen und Kopfschmerzen. Mit Sport kann ich noch nicht so weitermachen wie vorher.

Heute habe ich einen anderen Blick auf dieses Virus. Ich habe auch vorher schon aufgepasst, bei der Arbeit und privat: Abstand, Maske tragen. Aber danach habe ich mich richtig schwergetan, die sozialen Kontakte wieder aufzunehmen. Ich wollte nicht, dass das jemand das durchmachen muss und es auch selbst nicht nochmal erleben. Ich möchte natürlich, nur wenn jemand hustet, nicht überdrehen, aber ich achte jetzt noch viel mehr darauf, mich selbst und andere nicht in Gefahr zu bringen.

Wenn Menschen wüssten, was diese Krankheit mit einem macht und wie man unter den Folgen leidet, wären sie viel vorsichtiger und würden auf vieles verzichten. 

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Özlem Kaya arbeitet in unserem Sozialpsychiatrischen Verbund, der Menschen mit psychischen Erkrankungen Teilhabe ermöglicht. Weitere Infos gibt es auf der Homepage des Sozialpsychiatrischen Verbunds.
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