Mobiles Arbeiten in Coronazeiten: Dauererreichbarkeit oder Selbstbestimmung?

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»In Deutschland herrscht immer noch eine starke Anwesenheitskultur.« Und: »Die Nutzung von Homeoffice hat unter den Beschäftigten seit 2013 nicht zugenommen.« Zwei Sätze aus dem Forschungsbericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales unter dem Titel »Mobiles und entgrenztes Arbeiten«. Erschienen im Jahr 2015. Fünf Jahre und eine Pandemie später sieht die Arbeitswelt ganz anders aus. Ob das gut oder schlecht ist, darüber wird noch eifrig diskutiert, auch in der Graf Recke Stiftung. Neue Freiheit oder völliges Verschwimmen von Privatem und Beruf? In einer Abfrage hatten Verwaltungsmitarbeitende die Gelegenheit, ihre Sicht der Dinge zu schildern. Die überwiegend positiven Antworten bestärkendie Stiftung, das Thema »mobiles Arbeiten« weiterzuverfolgen.

Eines vorweg: »Viele Tätigkeiten in der Betreuung und Pflege sind natürlich ortsgebunden«, so Petra Skodzig, Finanzvorstand der Graf Recke Stiftung. Deshalb sei mobiles Arbeiten »hier nicht ohne Einschränkung anwendbar«. Eine Ungerechtigkeit innerhalb sozialer Unternehmen wie der Graf Recke Stiftung? So einfach ist es nicht, denn Homeoffice ist nicht gleich der Himmel in den eigenen vier Wänden, wie eine Abfrage unter Verwaltungsmitarbeitenden der Stiftungsverwaltung und der Graf Recke Erziehung & Bildung zeigt: Von der mangelnden technischen Ausstattung über die physische Belastung bis hin zu Angst vor Isolation kommen einige Kehrseiten der Arbeit von zu Hause in den Antworten der Befragten zutage.

Viele Tätigkeiten in der Betreuung und Pflege sind natürlich ortsgebunden.

Petra Skodzig

Vorurteile in Luft aufgelöst

Insgesamt jedoch überwogen die positiven Aspekte. »Wir haben gesehen, wie produktiv und effektiv das mobile Arbeiten sein kann«, sagt Pfarrer Markus Eisele, Theologischer Vorstand. »Da haben sich einige Vorurteile in Luft aufgelöst.« Die Stiftung wolle nach den positiven Erfahrungen mit mobilem Arbeiten in der Coronapandemie »auch in Zukunft auf Homeoffice und Co« setzenund dafür konkrete Pflöcke einschlagen.

Denn dass für das durch Corona enorm beschleunigte Umdenken in Unternehmen und Belegschaft noch einiges zu klären ist, machen auch die befragten Mitarbeitenden deutlich. Die Ausstattung zu Hause? Ganz überwiegend sehr gut bis befriedigend, dennoch fehlt es manchem noch am Equipment, ob ein ausreichend großer Bildschirm, eine Maus oder ein Drucker. So habe eine Person die Ausstattung seitens der Dienstgeberin mit privaten Geräten ergänzt, »um ein gutes Arbeitsfeeling zu erhalten«; aber auch die Frage des Verbrauchs an eigenen Ressourcen im heimischen Umfeld stand zur Debatte.

Technische Hürden bei der Einwahl ins berufliche Netzwerk sind teilweise noch zu klären, die Datengeschwindigkeit macht dagegen nur wenigen Mitarbeitenden das Arbeiten schwer, sind sie doch zu Hause oft mindestens ebenso gut angebunden wie im Büro.

Meist gut bis sehr gut bewerteten die Mitarbeitenden ihre räumliche Situation zu Hause. »Ergonomische No-Gos« sind jedoch für einige die Arbeitsmöglichkeiten am heimischen Küchen- oder Wohnzimmertisch. Die hatten sich vor Corona wohl nicht für ganze Arbeitstage empfehlen müssen und ihre begrenzte Eignung gezeigt.

Quengelnde Mitbewohner spielen untergeordnete Rolle

Das Problem von Einschränkungen durch andere Personen im Haushalt spielt eine geringe Rolle in den Antworten der Mitarbeitenden. Viele verfügen über ein eigenes Zimmer für ihr Homeoffice und freuen sich über die Ruhe, die konzentriertes Arbeiten erlaubt. Quengelnde Mitbewohner und Homeschooling oder Konflikte um den Zugang zum Arbeitsplatz zu Hause spielen eine untergeordnete Rolle.

Entsprechend wird die eigene Leistungsfähigkeit daheim in den meisten Fällen positiv bewertet. Generell wurden alle Tätigkeiten, die strategisches und konzeptionelles Arbeiten erfordern, als besonders gut für die Heimarbeit geeignet empfunden.

Bei der Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen ergibt sich ein differenziertes Bild: Vom »fast umfangreicheren Austausch « im Homeoffice bis »anstrengend und gehemmt«, von der Freude über »fast immer sachgrundbezogene Gespräche« bis zur Traurigkeit über fehlende »Sozialpausen« und den fehlenden spontanen Austausch ist die ganze Bandbreite der Bewertung zu hören. »Regelkommunikation mit Kollegen«, heißt es in einer Antwort, sei »gerade im Homeoffice noch viel wichtiger als im Büro«. Auch künftig die Möglichkeit der Heimarbeit »als gute Ergänzung« nutzen möchten fast alle, die einen mehr (vier- bis fünfmal die Woche!), die anderen weniger (ein bis zweimal die Woche). Die Frage nach Verbesserungsvorschlägen dazu umfasst sowohl zu definierende Kommunikationsstandards und Regelungen als auch die Notwendigkeit technischer Nachrüstung, der Klärung von Kostenfragen oder die der weiteren Digitalisierung der Abläufe – vieles läuft eben auch heute noch über Papier.

Vor- und Nachteile der Arbeit zu Hause werden im Fazit ähnlich eingeschätzt, aber unterschiedlich gewichtet. Effizienteres und produktiveres Arbeiten, Zeitgewinn gegenüber der Anfahrt ins Büro, Flexibilität und mehr Zeit für die Familie oder andere private Dinge stehen einer »Dauererreichbarkeit«, der Sorge vor einer Isolation oder der Vermischung von Privat- und Berufsleben gegenüber. Auch bedürfe es bei der Heimarbeit einer hohen Selbstdisziplin, heißt es. Deshalb müssen auch Vorgesetzte das nötige Vertrauen in ihre Mitarbeitenden haben, betont Finanzvorstand Petra Skodzig: »Die Basis des Modells ist auch ein anderer Führungsstil, der sich an Ergebnissen orientiert, nicht an der Präsenz im Büro.« Hier habe man aber großes Vertrauen in die eigenen Mitarbeitenden. Unterm Strich verspricht sich die Graf Recke Stiftung von der neuen Arbeitskultur besonders motivierte Mitarbeitende und zusätzliche Attraktivität im Kampf um Talente.

»Viele Beschäftigte schätzen das höhere Maß an Selbstbestimmung«, folgert Theologischer Vorstand Markus Eisele aus den vorliegenden Antworten. Die werden jetzt systematisch ausgewertet, um dann gemeinsam mit der Mitarbeitervertretung die Regeln fürs mobile Arbeiten weiterzuentwickeln.

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