Was macht ein Teilhabemanager? Was bedeutet Personenzentrierung? Und was sind die "neun relevanten Lebensbereiche der sozialen Teilhabe"? Mit dem Bundesteilhabegesetz ändern sich Begriffe. Doch vor allem soll es die Situation für Menschen mit Behinderung verbessern. Im Mittelpunkt steht das „Bedarfsermittlungsinstrument“. Das haben wir uns einmal genauer angeschaut und ein Gespräch zur Bedarfsermittlung mit Teilhabemanager Dennis van der Beck durchgespielt.

Dennis van der Beck ist Teilhabemanager der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik. Eine neue Stellenbezeichnung. Früher hat er in der besonderen Wohnform, also einem Wohnheim, aber auch im ambulanten Bereich gearbeitet. Heute ist es seine ausschließliche Aufgabe, Menschen mit Behinderung dabei zu unterstützen mit dem Ziel, Barrieren auf dem Weg zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu überwinden. Also Inklusion zu ermöglichen.

Im Zentrum und am Anfang dieses Wegs steht das "Bedarfsermittlungsinstrument" in Nordrhein-Westfalen, kurz BEI_NRW – ein einheitliches Instrument, mit dem Teilhabemanager und Leistungsberechtigter, also der Mensch mit einer Behinderung, herausarbeiten, welche Unterstützung dieser auf dem Weg zu mehr Teilhabe benötigt. "Hierbei handelt es sich um ein sogenanntes kooperatives Verfahren in enger Zusammenarbeit mit dem LVR ", erklärt Dennis van der Beck. Der LVR, der Landschaftsverband Rheinland, ist Kostenträger für die geplanten Maßnahmen.

Das Verfahren folgt den Vorgaben des neuen Bundesteilhabegesetzes, kurz BTHG. Das BTHG, so Dennis van der Beck, lege den Schwerpunkt auf einen "personenzentrierten Ansatz". Hier geht es also ausschließlich um den Menschen mit Behinderung, den Leistungsberechtigten, und darum, was er braucht, um teilhaben zu können. Also dabei zu sein: am Arbeitsmarkt. Gesellschaftlich. Auf dem Wohnungsmarkt. In der Freizeit.

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Um eine Idee davon zu bekommen, wie diese Unterstützung konkret geschieht, hat der Autor dieses Beitrags ein Erstgespräch zur Bedarfsentwicklung mit Dennis van der Beck durchgespielt.

Vorweg die Frage an den Teilhabemanager: Wie kommt es überhaupt zu so einem Erstgespräch zur Bedarfsentwicklung? Meist beginne es mit einem grundsätzlichen Interesse des Leistungsberechtigten an einer ambulanten Betreuung, erklärt van der Beck. Ein Anlaufpunkt für den Interessenten oder auch Angehörige ist die Koordinierungs-, Kontakt- und Beratungsstelle (KoKoBe). Sie berät und unterstützt Menschen mit einer Behinderung, die sich mehr Selbstbestimmung wünschen oder bestimmte Ziele in diesem Sinne verfolgen. Auch das Sozialpsychiatrische Zentrum der Stiftung in Düsseldorf-Grafenberg auf dem Gelände der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik ist so ein niederschwelliger Anlaufpunkt.

Wunsch und Willen umkreisen

Die Anfragenden werden dann an die " Leistungsanbieter" verwiesen. So ein Leistungsanbieter ist die Graf Recke Stiftung. Und hier kommt das Teilhabemanagement ins Spiel. Zum Beispiel Dennis van der Beck. Einem ersten Kennenlernen folge in der Regel das Erstgespräch zu Bedarfserhebung, also das Interview im Rahmen des BEI_NRW.

Teilhabemanager van der Beck eröffnet das Gespräch mit einer Floskel: "Sind Sie gut hierhergekommen?" Diese Frage stellt er nicht aus reiner Höflichkeit. Vielmehr, erklärt er, wolle er direkt das Thema Mobilität und Selbstständigkeit anschneiden. Jede Frage, oder vielmehr die Antwort darauf, ist für Dennis van der Beck ein wichtiger Hinweis, um ein Bild vom Gegenüber zu bekommen. Er fragt nach Geschwistern, Kontakt zu anderen Familienangehörigen, Freundschaften. Er möchte wissen, wie der Kontakt gehalten wird, auf welchen Wegen und Kanälen, nach Freundschaften und sonstigen Personen aus dem Umfeld.

Jede Antwort ist ein wichtiger Hinweis.

Dennis van der Beck

Der Teilhabemanager fragt nach den Wünschen des Leistungsberechtigten in Sachen Wohnen, Arbeiten, Freizeit, Tagesstruktur nach Kleinigkeiten, alltäglichen Verrichtungen wie Einkaufen oder Waschen. Dies alles geschieht in einem lockeren Gespräch, bei dem immer der Wunsch und Wille des Leistungsberechtigten umkreist wird.

Warum möchte Dennis van der Beck das alles so genau wissen? "Damit ich einen Eindruck habe und einordnen kann, wie das, was der Leistungsberechtigte macht, zu dem passt, was er sich wünscht." Er sagt, er müsse er ein Gefühl dafür entwickeln, ob die oder der Leistungsberechtigte die eigene Lage und Fähigkeiten realistisch einschätzt. Auch die Sicht von Angehörigen wird im Zuge der Bedarfsermittlung eingeholt. In der "ergänzenden fachlichen Sicht" fügt Dennis van der Beck alles zusammen.

Auf diesem Wege werden in der Regel neun vordefinierte Lebensbereiche durchstreift. Es geht um Lernen und Wissensanwendungen, allgemeine Anforderungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung und häusliches Leben, Beziehung zu anderen Menschen, Bildung, Arbeit und andere Lebensbereiche, außerdem um "Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerliches Leben". Sehr theoretisch, aber wenn Dennis van der Beck nachfragt, wird es konkret. Er möchte auch wissen, wie sein Gegenüber so tickt. "Der Umgang mit Krisen und Stress, mit alltäglichen Anforderungen, ist auch ein wichtiger Faktor in der Einschätzung", sagt der gelernte Heilerziehungspfleger. Es geht um Dinge, die der Leistungsberechtigte kann, und solche, die ihn noch daran hindern, seine Wünsche zu realisieren. Er nennt das "Erhaltungsziele" und "Veränderungsziele".

Als Teilhabemanager ist Dennis van der Beck wie ein Eichhörnchen. Nur sammelt er Infos statt Nüsse. Er findet BEI_NRW gut, "man kriegt ein Bild und eine individuelle Planung ist damit auf jeden Fall möglich". Der Teilhabemanager nimmt alles auf, "ich lege nichts in den Mund und versuche herauszufinden, wo eigene Wünsche konkret werden".

Am Ende des Gesprächs stehen persönliche Ziele, Handlungsziele und Leitziele. So werden aus Wünsche konkrete und messbare Maßnahmen, so genannte Handlungsziele. Die Leitziele sollen über allem stehen und alle Maßnahmen führen daraufhin, ohne zeitliche Begrenzung. Jemandem komplett von Wünschen abzuraten, und seien die auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht realisierbar, davon hält er nichts. Vielmehr gehe es darum, die Wünsche des Leistungsberechtigten sehr ernst zu nehmen und Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer konkrete Schritte eingeleitet werden können.

Im Weiteren kommen andere Mitarbeitende ins Spiel, Kolleginnen und Kollegen von Dennis van der Beck. Auch für sie gibt es eine neue Stellenbezeichnung: Sie sind Assistenzen. Eine Assistenz kann eine unterstützende oder eine qualifizierte Assistenz sein, erklärt van der Beck. Die unterstützende Assistenz nimmt dem Leistungsberechtigten Tätigkeiten einfach ab, geht etwa für den Menschen mit Behinderung einkaufen. Die qualifizierte Assistenz dagegen macht einen solchen Einkauf anfangs gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten und soll ihn Stück für Stück befähigen, selbstständig einzukaufen oder andere Hürden des Alltags selbstständig zu überwinden. Die Assistenz leitet an, trainiert und berät.

Nach dem Erstgespräch kommt der Erstantrag. Damit wird das weitere Verfahren eingeleitet. In den Erstantrag des BEI_NRW trägt Dennis van der Beck die Ziele und Maßnahmen ein, die gemeinsam mit dem Leistungsberechtigten erarbeitet wurden, und welcher Unterstützungsbedarf sich daraus ergibt. Der Plan wird für etwa zwei Jahre gelten und legt fest, was genau passieren soll, welche Unterstützung es dazu braucht und wer die leisten kann. Für die Unterstützung wird eine bestimmte Zahl an Fachleistungsstunden festgelegt – die Zeit, die eine Assistenz für die Unterstützung aufwenden darf.

"Kriegen jeden dahin, wo er möchte"

Wer welche Leistungen für ihn erbringt, das kann sich der Leistungsberechtigte übrigens selbst aussuchen. Es müssen also nicht unbedingt Mitarbeitende der Graf Recke Stiftung sein. Auch diese Wahlfreiheit des Leistungsberechtigten gehört zum neuen BTHG.

Dennis van der Beck macht deshalb schon mal Werbung für die Graf Recke Stiftung, wenn er sagt: "Wir kriegen eigentlich jeden dahin, wo er möchte."

Im Juni hat Angela Paardekooper ihre Ausbildung zur Beiköchin erfolgreich abgeschlossen, seit Juli hat sie eine Festanstellung in einem Düsseldorfer Supermarkt. Beides keine Selbstverständlichkeit für die 42-Jährige, die vor Jahren psychisch schwer erkrankte. Doch die Düsseldorferin hat sich mit Talent, Engagement und Disziplin sowie der Unterstützung der Arbeitstherapie der Graf Recke Stiftung auf den ersten Arbeitsmarkt durchgekämpft.

Wenn sie Frühdienst hat, endet für Angela Paardekooper die Nacht gegen halb vier. Dann macht sie sie sich mit der Straßenbahn auf den gut einstündigen Weg zur Arbeit. Wenn die 42-Jährige nach Feierabend dieselbe Strecke zurückfährt, tun ihr manchmal die Füße weh. Und doch könnte sie beruflich kaum glücklicher sein: „Ich liebe meine Arbeit“, sagt sie mit Überzeugung. „Ich freue mich jeden Tag darauf.“ Denn ihr Job ist für sie vor allem ein Glücksfall, den sie sich über viele Jahre hart erkämpft hat. Es ist ein weiterer Schritt in ein selbstbestimmtes Leben.

Gemeinsam mit anderen ist sie seit Juli als Beiköchin für die „Heiße Theke“ in einem Supermarkt im Düsseldorfer Stadtteil Reisholz zuständig. Die Aufgabe ist nicht ohne: Da werden in großen Mengen Reibekuchen gebacken und Schnitzel paniert, gehen allein 400 bis 500 Frikadellen pro Tag über die Theke, die zuvor geknetet, geformt und zubereitet werden, erzählt Angela Paardekooper. Hinzu kommt regelmäßiger Kundenkontakt. Das alles zusammen sei schon anstrengend, gibt sie zu. Aber die Bewältigung der Aufgaben und auch die notwendige Schnelligkeit, das klappe immer besser. Sie strahlt.

Wer verstehen will, was es für Angela Paardekooper bedeutet, einen regulären Vollzeitjob zu meistern, muss ihre Geschichte kennen: Mit 25 Jahren schwer psychisch erkrankt, verbrachte sie in der Folge viel Zeit in der Klinik, bevor sie 2009 ins betreute Wohnen der Graf Recke Stiftung wechselte. Am Sozialpsychiatrischen Zentrum der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik an der Grafenberger Allee hatte sie zunächst eine Ergotherapie begonnen, „aber daran nicht so das Interesse, ich musste irgendwas arbeiten.“ Die anschließende Arbeitstherapie war daher viel mehr ihr Ding. So war sie zunächst in der Wäscherei beschäftigt und später für sechs Jahre im heutigen Café Geistesblitz.

Wille und Engagement

Was damals bereits auffiel, waren ihr Wille und ihr Engagement, trotz Erkrankung. Sie habe am Ende sieben Stunden hinter der Theke gestanden, die doppelte Zeit einer normalen Arbeitstherapie, erzählt Angela Paardekooper. „Ich wollte ausprobieren, ob ich für den ersten Arbeitsmarkt tauglich bin.“ Und das gelang: 2019 wechselte sie in die Großküche direkt nebenan – und beeindruckte die dortigen Küchenchefs: „Ich habe ihren Einsatz bemerkt, das sieht man wirklich selten“, erinnert sich Thomas Samstag, hat er doch über Jahrzehnte Menschen mit psychischen Erkrankungen in seinem Team erlebt und begleitet.

Und so war es für ihn und seinen mittlerweile in Ruhestand gegangenen Kollegen Achim Blaha damals gar keine Frage, dass sie Angela Paardekooper in ihrem größten Wunsch unterstützen werden: mit Ende dreißig eine Ausbildung zur Beiköchin zu beginnen. „Wir waren uns beide von Anfang an einig: Da ist Potenzial, sie wird ihren Weg gehen“, sagt Thomas Samstag. Das kann Marcel Steffens bestätigen, der im Sommer 2022 die Nachfolge von Achim Blaha antrat und dem aus dem gemeinsamen Jahr eine Besonderheit in Erinnerung blieb: „Sie hat auch die Arbeiten übernommen, die andere eher scheuen, die Fritteuse sauber machen zum Beispiel“, meint er schmunzelnd – und schaut anerkennend zu Angela Paardekooper hinüber.

Die Beiköchin ist an diesem Nachmittag zu Besuch an ihrer früheren Wirkungsstätte und hat für ihre früheren Ausbilder ebenfalls nur lobende Worte übrig: Alle drei hätten sie bei allem unterstützt, dafür sei sie „so, so dankbar“, sagt sie. Erst neulich habe sie wieder Flammkuchen mit Feigen und Apfelspalten gemacht, was sie hier gelernt habe. „Ich habe aus der Zeit ganz viel mitgenommen“, sagt Angela Paardekooper. „Nicht nur Rezepte und das handwerkliche Geschick. Auch, wie man die Arbeit angeht.“

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Unser Unternehmensmagazin recke:in beschäftigt sich in der letzten Ausgabe des Jahres mit dem Thema "Tagesstruktur & Arbeit" in der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik. Das ganze Heft online lesen können Sie hier.

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Aufgeregt bei der Prüfung

Und so hat die gebürtige Düsseldorferin auf dem Weg zur „Fachpraktikantin Küche“, wie ihr Berufsbild mittlerweile offiziell heißt, alle Hürden mit Bravour genommen, gehörte in der Berufsschule regelmäßig zu den Besten. Keine Frage, dass sie ihre Prüfung im Juni ebenfalls bestand, mit den Noten war sie allerdings nicht ganz zufrieden. Sie sei beim praktischen Teil aufgeregt gewesen, normalerweise „gar nicht ihre Art“, wie Thomas Samstag anmerkt. Und so gelang der Rotbarsch mit Broccoli als Hauptgang noch einwandfrei, der Pfannkuchen mit Rhabarber-Erdbeer-Kompott als Nachspeise hingegen war „lecker, aber leider kalt“, wie sie einräumt. „Dabei haben wir Pfannkuchen vorher extra noch geübt.“ Sie zuckt die Schultern.

Diese kleine Enttäuschung hat Angela Paardekooper aber längst abgehakt, ihr Blick ging schnell wieder nach vorn. Zu Recht, wie Thomas Samstag meint, er sei „richtig stolz auf sie“. In der praktischen Arbeit sei sie stets ruhig, immer konzentriert und eine Bereicherung für jede Küche. Marcel Steffens hat die 42-Jährige vor allem als ideenreich und kreativ erlebt, dazu immer zuvorkommend. „Ich bin froh, sie kennengelernt zu haben und sie auf einem Teil ihrer Reise begleitet zu haben“. Dass diese sie aus der Küche an der Grafenberger Allee wegführen wird, war von Anfang an klar. Eine Planstelle für eine Beiköchin gebe es leider keine, man sei ein reiner Ausbildungsbetrieb, erklärt Küchenchef Samstag. Dass es jedoch so schnell mit der Anstellung als Beiköchin im Supermarkt geklappt hat, machte den Abschied für alle Beteiligten leichter.

Die Stelle habe sie im Internet entdeckt und gedacht: „Das isses.“ Nach dem Bewerbungsschreiben, berichtet Angela Paardekooper, ging alles ganz schnell: Vorstellunggespräch, Probearbeit, Arbeitsvertrag. „Ich hatte gerade mal zwei Wochen zwischen Prüfung und Job.“ Dass der Schritt richtig war, daran hatte sie allerdings zu keinem Zeitpunkt Zweifel. Und selbst das frühe Aufstehen nimmt sie dafür gerne in Kauf.

„Auf einen Kollegen im Frühdienst freue ich mich immer, weil die Zusammenarbeit so gut klappt“, berichtet sie. Tatsächlich falle dann auch die Hauptarbeit an. Bevor überhaupt die ersten Kunden den Supermarkt betreten, gibt es viel vorzubereiten. Doch auch die Nachmittagsschicht hat für sie ihren Reiz, sagt Angela Paardekooper, weil sie dann in der Regel die alleinige Verantwortung trage. Stress gebe es ja überall, findet sie. „Aber der geht in der Routine unter.“ Klar, es gebe auch mal Leute, die sich über etwas beschweren, das müsse man aushalten und freundlich bleiben. „Aber wir haben vor allem viel Stammkundschaft. Manche kaufen ihre Haxen nur bei uns, weil sie die ganz toll finden.“

Auf einen Kollegen im Frühdienst freue ich mich immer, weil die Zusammenarbeit so gut klappt.

Angela Paardekooper

Ähnlich gut kommt die neue Kollegin offenbar auch im Supermarkt-Team an. „Wir lieben dich, du bleibst“, habe eine Vorgesetzte in einem Feedback-Gespräch kurz vor Ende der Probezeit zu ihr gesagt. „Das hat ich mich schon gefreut“, meint Angela Paardekooper mit einem leicht verlegenen Lächeln. Keine Frage, dass sie gerne auch an ihre Zeit in der Küche bei der Graf Recke Stiftung zurückdenkt, auch immer wieder gerne vorbeikommt. „Es war eine tolle Zeit. Das hat ganz viel mit den Leuten hier zu tun“, sagt sie. Aber nun ist sie eben noch einen Schritt weiter.

Eigene Wohnung das nächste Ziel

Nun verdiene sie ihr eigenes Geld, betont Angela Paardekooper, könne sich auch mal etwas leisten, und seien es, wie zuletzt, ein Paar Bluetooth-Lautsprecher. Aus dem betreuten Wohnen in eine eigene Wohnung zu ziehen, das ist ihr nächstes großes Ziel. Ach ja, und den Roller-Führerschein zu machen. „Ich habe schon immer von einem Roller geträumt, das ist cool“, schwärmt sie. Die Zeit des Bahnfahrens wäre dann vorbei, und morgens eine halbe Stunde länger schlafen könnte sie auch.

Eine psychische Erkrankung kann das gesamte Leben durcheinanderbringen. Tagesstruktur ist dann für die Betroffenen ein ganz wesentlicher Stabilisator. Die Graf Recke Stiftung bietet diese Struktur. Im Interview erklären Diana Lechleiter und Heike Lagemann, wie das funktioniert und warum auch die kleinen Erfolge so große Bedeutung haben.

Info

Diana Lechleiter ist Bereichsleiterin Tagesstruktur & Arbeit sowie Leiterin der Praxis für Ergotherapie, Heike Lagemann ist zuständig für Projektentwicklung und Koordination in der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik.

Alle Infos rund um die Angebote aus dem Bereich Tagesstruktur & Arbeit gibt es hier auf der Homepage der Sozialpsychiatrie.

An wen konkret richtet sich das Angebot der Tagesstruktur & Arbeit?

Lechleiter Das sind Menschen mit psychischen Erkrankungen im ganzen Spektrum. Voraussetzung für die Teilnahme an der Tagesstruktur ist, dass diese Erkrankungen chronisch sind und die Betroffenen dem Arbeitsmarkt im Moment nicht zur Verfügung stehen. Das sind nicht nur Menschen, die hier bei uns in Häusern der besonderen Wohnform leben, sondern auch solche, in Wohngemeinschaften oder der eigenen Wohnung im Rahmen des betreuten Wohnens von uns begleitet werden.

Außerhalb der eigenen Häuslichkeit

Lagemann Tagesstruktur gibt es auch im Bereich unserer Heilpädagogik, also für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, im Moment aber nur eine kleine Gruppe in einem unserer Wohnhäuser. Die meisten unserer Leistungsberechtigten dort arbeiten in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung.

Gibt es eine Altersbegrenzung?

Lechleiter Bei uns kann man ab 18 Jahren bis ins hohe Alter an der Tagesstruktur teilnehmen, solange es körperlich möglich ist.

Kommen die Menschen zu Ihnen oder gibt es sowas wie Hausbesuche?

Lechleiter Nein, Hausbesuche machen wir nicht. Die Menschen suchen aktiv die Angebote auf dem gesamten Areal an der Grafenberger Allee und in Kaarst auf. Dazu gehören auch Außenaktivitäten, Maßnahmen zur individuellen Förderung besonderer Kompetenzen, etwa in der Medienwerkstatt, und Ergotherapie. Alles findet außerhalb der Häuslichkeit der Leistungsberechtigten statt. Das ist auch Sinn der Tagesstruktur, dass diese am "zweiten Lebensort" stattfindet.

Wie ist der zeitliche Umfang?

Lechleiter Die Tagesstruktur findet an fünf Tagen in der Woche statt, da es sich um eine Routine handeln soll. Im Moment gibt es noch eine Mindestanforderung, die besagt, dass man dreimal die Woche für mindestens zwei Stunden teilnehmen muss. Wir haben die Angebote immer auf drei Stunden festgelegt, um eine Einstiegsphase, eine angemessene „Arbeitsphase“ und einen gemeinsamen Abschluss zu gewährleisten.

Was machen die Teilnehmenden außerhalb der Tagesstruktur?

Lechleiter Arbeiten geht niemand, denn sobald jemand auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig ist, ist das Angebot der Tagesstruktur nicht mehr notwendig. Einige machen nebenbei noch etwas Ehrenamtliches. Ansonsten ist es meistens so, dass eine höhere zeitliche Leistungsanforderung nicht funktioniert, weil die Teilnehmenden mit drei oder auch fünf Tagen hier schon so ausgelastet sind.

Inwiefern arbeiten Sie mit den Werkstätten für behinderte Menschen zusammen?

Lechleiter Wenn sich zum Beispiel hier jemand so weit entwickelt hat, dass er sagt, ich interessiere mich für einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt, dann unterstützen und vermitteln wir auch. Wir freuen uns natürlich auch immer, wenn wir eine Entwicklung bei den Teilnehmern sehen.

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Welche Erfolgsgeschichten oder besonderen Beispiele für positive Veränderungen bei Teilnehmern können Sie berichten?

Lagemann Ein Erfolg ist es auch, eine Tätigkeit zu finden, die den eigenen Interessen und Fähigkeiten entspricht, zum Beispiel in der Gärtnerei an der frischen Luft zu arbeiten, Gemüse anzubauen, das in der Großküche für das Mittagessen benötigt wird und die Kollegialität. Das ist schon ein großer Gewinn für das Selbstbewusstsein und Stabilität.

Lechleiter Wenn man die Teilnehmenden befragt, ist der für ganz viele sehr kleinschrittig: Stabilität zu haben, regelmäßig zu kommen und Wertschätzung zu erfahren. Viele erzählen, wie chaotisch ihr Leben früher war. Hier eine geregelte Woche zu haben und Menschen zu sehen, die einem wichtig sind, kann schon ein großer Erfolg sein. Es auf den zweiten Arbeitsmarkt zu schaffen oder sogar auf den ersten, geschieht nur in seltenen Fällen. Wenn der Teilnehmende dieses Ziel verfolgt, bieten wir ihm Möglichkeiten zur Vorbereitung auf Teilhabe am Arbeitsleben an. Hierzu bedarf es meist einer intensiven und längeren Vorbereitungsphase.

Lechleiter Wie zum Beispiel Frau Paardekooper. Sie hat ihre Ausbildung als Beiköchin hier absolviert und ist jetzt seit Juli auf dem ersten Arbeitsmarkt. Das hat sie hier mit guter Unterstützung, aber auch sehr viel eigenen Willen und Motivation geschafft.

 

Das Ziel ist also sehr individuell definiert.

Lechleiter Absolut! Kein Ziel gleicht dem anderen. Das macht es auch so schön und spannend, weil jeder seine eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten mitbringt. Wir stellen uns immer wieder neu auf die Menschen ein und gestalten individuelle Wege der Weiterentwicklung, wollen unterstützend und motivierend beistehen und den Menschen helfen, wieder neuen Mut fassen zu können. Dazu gehört, dass wir verlässlich und da sind, und im Gegenzug auch erwarten, dass die Leistungsberechtigten verlässlich sind, pünktlich kommen, nicht einfach gehen, ohne sich abzumelden.

Lagemann In der Tagesstruktur geht es um Durchhaltevermögen, mit Rückschlägen umzugehen, Belastbarkeit und Ausdauer zu steigern. Es gibt Phasen in denen es den Menschen schlechter geht und die trotzdem bewältigt werden müssen.

Wie können interessierte Personen Zugang zu den Angeboten der Graf Recke Stiftung erhalten?

Lechleiter Viele Leistungsberechtigten kommen über Betreuungskräfte von externen Anbietern, zum Beispiel der LVR-Klinik Grafenberg, Institutsambulanzen und niedergelassene Fachärzten.

Lagemann Dann kommt unser Teilhabemanagement ins Spiel. Es erhebt den Unterstützungsbedarf des Leistungsberechtigten: Benötigt er Unterstützung beim Wohnen, in der Tagesstruktur oder für beides? Kostenträger ist der Landschaftsverband Rheinland, LVR. Dort werden die Leistungen beantragt. Der Leistungsberechtigte muss sehr genau sagen, wo er Assistenz benötigt. Das wird digital erfasst und an den LVR übermittelt. Dazu dient das Bedarfsermittlungsinstrument, kurz BEI_NRW.

Lechleiter Die Bedarfsermittlung hat einen festen Ablauf und feste Ziele, womit dann die Leistung beantragt wird. Unsere Aufgabe ist es zu schauen, wie unsere Angebote darauf passen und wie wir unterstützen können. Wenn der Bedarf festgestellt wurde, machen wir so schnell wie möglich einen Termin für ein erstes Gespräch und eine Hospitation. Erst dann können wir Rückmeldung geben, ob das so geht: Schafft die Person das? Was ist ein guter Zeitraum? Wir probieren es eigentlich immer, aber manche müssen sich erst weiter stabilisieren, bevor wir in der Tagesstruktur ein Angebot machen können. Deshalb sind wir froh, dass wir das Teilhabemanagement haben, um das zu sortieren.

 

Gibt es auch Selbstzahler?

Lagemann In der Tagesstruktur nicht. Wohl aber in der Tagesstätte. Da ist das theoretisch möglich, aber sehr selten.

Wie wird die Tagesstruktur von der „Außenwelt“ wahrgenommen?

Lechleiter Unser Spielwarenladen Mathildes Spielekiste und das Café Geistesblitz werden sehr gut von der Außenwelt wahrgenommen und sind immer gut besucht.

Gibt es auch Berührungsängste?

Lechleiter Nicht jeder kann sich vorstellen in Mathildes Spielekiste oder im Café Geistesblitz zu arbeiten, weil der Kundenkontakt eine große Herausforderung ist. Ich bin sehr froh über diejenigen, die sich das zutrauen, weil sie einen wichtigen Beitrag leisten, die Barriere abzubauen. Lagemann Leistungsberechtigte, die nicht mit direktem Kundenkontakt arbeiten, erfahren Identifikation etwa, indem sie etwas produzieren, was von externen Firmen in Auftrag gegeben wird. Beispielsweise Bauteile für einen Automobilzulieferer. Da erfahren die Leistungsberechtigten, dass das, was sie machen, sinnvoll ist und einen wertvollen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, anerkannt und wertgeschätzt zu werden.

Arbeit ist ein Aspekt der sozialen Teilhabe. Welche Aktivitäten gibt es noch, um Teilhabe zu fördern?

Lechleiter Es finden regelmäßig Festlichkeiten statt, wo wir dann öffentlich zu einladen, sei es der Weihnachtsmarkt oder die regelmäßige Vernissage im Café Geistesblitz. Auch das SPZ lädt öffentlich zu Infoabenden ein, wo jeder teilnehmen darf. Es gibt auch eine Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde, wo wir uns um gemeinsame Projekte kümmern und uns gegenseitig einladen.

Können Sie Beispiele für sinnvolle Alltagshandlungen nennen, die im Rahmen Ihrer Programme weiterentwickelt werden?

Lechleiter Das übernimmt größtenteils die Ergotherapie: Handwerk und Kreativität sind wichtige Bausteine, aber nur einer von ganz vielen. Es geht darum, etwas zu schaffen, meine Gedanken und Sorgen loszulassen und mich auf eine Sache zu konzentrieren. Wichtig ist es auch mit Misserfolg umgehen zu lernen, Fehler zu machen oder mal zu scheitern – das ist völlig in Ordnung. Erfolge werden wertgeschätzt und beispielweise in Form von hergestellten Produkten in Mathildes Spielekiste verkauft.

Es geht darum, etwas zu schaffen, meine Gedanken und Sorgen loszulassen und mich auf eine Sache zu konzentrieren.

Diana Leichleiter

Wie unterstützen Sie die Leistungsberechtigten bei der Bewältigung von Krisen?

Lechleiter Ganz viel geschieht im Gespräch, dass man sich regelmäßig sieht, Situationen gemeinsam bewältigen und unterstützen kann. Einfach da zu sein, reicht manchmal schon. Eigene Ideen können natürlich auch eingebracht werden, denn eigene Motivation ist gut. Manchmal muss es in die richtigen Bahnen gelenkt werden, damit es realisierbar ist.

Wie viele Mitarbeitende arbeiten mit wie vielen Teilnehmern zusammen?

Lechleiter Insgesamt sind es 25 Mitarbeitende und 150 bis 160 Teilnehmende. Die Schlüssel in der Betreuung sind ganz individuell.

Aus welchen Berufsgruppen kommen die Mitarbeitenden, die die Leistungsberechtigten in der Tagesstruktur begleiten? Und was müssen sie für ihre Arbeit mitbringen?

Lechleiter Zum Team gehören Mitarbeitende mit Ergotherapie-Ausbildung, handwerklichen Ausbildungen oder auch dem Studium der sozialen Arbeit. Besonders wertvoll ist die Kombination mehrerer Berufe. Die Mitarbeitenden sollten eine Bereitschaft haben, sich mit Menschen auseinanderzusetzen und sich fortzubilden. Ohne geht es nicht. Der Austausch zwischen den Mitarbeitenden ist natürlich auch Gold wert, da jeder von jedem profitieren kann.

Das Rund ist gerettet. Der Einsatz der vielen engagierten Beteiligten hat sich gelohnt. Hier erfahren sie, wie es gelungen ist, den Stadtteilttreff ein weiteres Jahr zu erhalten.

Im September feiert "Das Rund" sein fünfjähriges Bestehen - im Schatten einer drohenden Schließung des Nachbarschaftstreffs im ehemaligen Rheinbahn-Verkaufsrondell am Staufenplatz. Die fünf Kooperationspartner - die örtlichen Kirchengemeinden, das Deutsche Rote Kreuz, der Bürgerverein Grafenberg und die Graf Recke Stiftung -  scauten in eine ungewisse Zukunft, nutzen den Anlass aber, um zum Beispiel Bürgermeister Josef Hinkel und Bezirksbürgermeisterin Maria Icking einzuladen. Beide bekundeten ihre ausdrückliche Sympathie für das Projekt,  in dessen Rahmen Freizeit- und Beratungsangebote wie Behörden- und Flüchtlingshilfe, Lese- und Erzählcafé, ein Damenkränzchen, eine Lebensberatung, Computerkurse und vieles mehr angeboten werden.

"Das Rund" stand zuletzt finanziell auf der Kippe und es drohte das Ende. Jetzt hat der Düsseldorfer Stadtrat einen Zuschuss von 25.000 Euro für die Betriebskosten des kommenden Jahres bewilligt. Das Nachbarschaftsprojekt ist damit vorerst gerettet. Und Reimund Weidinger, Leiter der Graf Recke Sozialpsychiatrie & Heilpädagogik, könnte doch recht behalten: Im September hatte er anlässlich des fünften Geburtstags bereits ganz optimistisch zum zehnten Geburtstag eingeladen.

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